10•04•2024 ••

FTF Die Buchstaplerin #33 – Von Frauen – für Frauen – über Frauen

Mein Leseverhalten hat sich im Lauf meines Lebens verändert. In meiner Schulzeit waren die Themen im Leistungskurs Deutsch „Faust“, „Maria Magdalena“, „Tod in Venedig“, „Emilia Galotti“ alle geschrieben von männlichen Autoren. Dann in meiner Lehrzeit zur Buchhändlerin habe ich die großen Autoren, die man angeblich gelesen haben sollte, verschlungen und geliebt: Max Frisch, Gabriel Garcia Marquez, Albert Camus, Fjodor Dostojewski, Emile Zola, Lew Tolstoi, die Manns um hier nur einige wenige zu nennen. Und auch im Schulfach „Literatur“ in der Berufsschule war in erster Linie von männlichen Autoren die Rede, Autorinnen bildeten die Ausnahme. Ein Bewusstsein für dieses Ungleichgewicht kam bei mir erst viel später, heute sind ungefähr 75 % meiner gelesenen Bücher von Frauen geschrieben und das hat einen Grund: Sie spiegeln meine Lebenswirklichkeit besser wider, schreiben über für mich relevante Themen und berühren mich meist mehr als ihre männlichen Kollegen. Natürlich werde ich in der Zukunft auch wunderbare Bücher von Männern lesen, aber die heutige Kolumne ist den Frauen gewidmet: VON FRAUEN! FÜR FRAUEN! ÜBER FRAUEN!

In diesem Bücherfrühling gibt es wieder unglaublich viele neue Romane von großartigen Autorinnen, die das Leben und Handeln ihrer Protagonistinnen genauer unter die Lupe nehmen und uns daran teilhaben lassen!

Mit viel Frauenpower und selbstironischem Augenzwinkern erzählt Susanne Matthiessen in ihrem Roman „Lass uns noch mal los“ (Ullstein Verlag) von den Frauen ihrer Boomer-Generation, die im Berlin-Kreuzberg der Achtzigerjahre noch zwischen brennenden Barrikaden für ihre Rechte gekämpft und gegen das Patriarchat auf die Straße gegangen sind. Die wilden, anarchischen Zeiten gehören der Vergangenheit an und für viele von ihnen geht es ums Überleben in einer Stadt, die immer teurer und exklusiver wird. Im Mittelpunkt steht Susanne, die ausschließlich mit Frauen in einem Haus an der ehemaligen Grenzmauer wohnt und kurz vor ihrem 60. Geburtstag ihren Job verliert. Wie soll es nun weitergehen? Sie vermietet ihre Wohnung, zieht in den Keller und sucht mit ihren gleichgesinnten Freundinnen einen Weg aus der Misere, denn an Kreativität, Durchsetzungsvermögen und Widerstandskraft hat es ihnen noch nie gemangelt


… Susanne Matthiessen schreibt mit Leichtigkeit und bittersüßem Humor über das Älterwerden, Altersarmut, Wohnungsnot, selbstbestimmtes Leben und über den Feminismus im Wandel der Zeit.


Wir freuen uns, dass wir drei Bücher von Susanne Matthiessen auf Instagram verlosen dürfen – ein herzliches Dankeschön an den ullstein-Buchverlag.


Das Cover hat mich angesprochen, der Titel mich eher abgeschreckt: „Notizen zu einer Hinrichtung“ von Danya Kukafka (Blumenbar Verlag; Übersetzung: Andrea O`Brien) erzählt die Geschichte eines Serienmörders 12 Stunden vor seiner Hinrichtung. Das Besondere daran ist, dass die Frauen aus seinem nahen Umfeld seine Geschichte in Rückblenden beleuchten. Es geht um den 46-jährigen Ansel Packer, der mehrere Frauen auf dem Gewissen hat und der immer noch hofft, seinem Todesurteil zu entkommen, denn in einer Aufseherin glaubt er eine Verbündete gefunden zu haben. Während seine Zeit abläuft, reflektieren seine Mutter, seine Schwägerin und eine Kommissarin seinen schwierigen Lebensweg und man erfährt in Rückblenden, warum aus Ansel ein Mörder geworden ist – ohne jemals seine grausamen Taten zu verharmlosen. Die Geschichte ist weniger ein Thriller als vielmehr ein Psychogramm, das die Abgründe der menschlichen Seele auslotet und wichtige Fragen stellt: Was ist in Ansels Leben schiefgelaufen und wie hätten die Taten verhindert werden können?


Gesellschaftskritisch, vielschichtig, soghaft und grandios erzählt!!


Deutsche Geschichte mit den Augen einer Finnin erzählt Meri Valkama in ihrem Familienroman „Deine Margot“ (Frankfurter Verlagsanstalt; Übersetzung: Angela Plöger): Anfang der 80er-Jahre zieht der Journalist Markus Siltanen mit seiner Familie von Helsinki nach Ost-Berlin, um dort für die finnische Presse zu arbeiten. Seine Tochter Vilja wächst in der geteilten Stadt auf, bis eines Tages die Familie überstürzt Berlin verlässt. Viele Jahre später findet Vilja nach dem Tod ihres Vaters geheimnisvolle Liebesbriefe, die alle mit „Deine Margot“ unterschrieben sind. Nebulös tauchen Erinnerungen an ihre Kindheit auf, die sie emotional berühren, und Vilja möchte wissen, was es mit der rätselhaften Unbekannten auf sich hat. Nach drei Jahrzehnten reist sie in ein völlig verändertes Berlin und macht sich auf Spurensuche … Beeindruckend und einfühlsam erzählt ist „Deine Margot“ ein fesselnder Familienroman, der das Wunschbild der eigenen Eltern hinterfragt und gleichzeitig ein beeindruckendes Gesellschaftsportrait, das die politischen Umbrüche in der DDR, beleuchtet ...


... auf beiden Ebenen steht die Frage im Mittelpunkt: Wie gehen wir mit Erinnerungen um?


Das Leben und die Liebe in all ihren Facetten feiert die amerikanische Schriftstellerin Ann Napolitano in ihrer Familiensaga „Hallo Du Schöne“ (DuMont Verlag; Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence) und erzählt über fünf Jahrzehnte von den vier sehr unterschiedlichen Padovano-Schwestern Julia, Sylvie, Cecilia und Emeline, bei denen Familie an erster Stelle steht. Als der aus zerrüttenden familiären Verhältnissen kommende William Julia auf dem College kennenlernt, sie heiratet und die beiden eine Tochter bekommen, stellt sich bei William nicht das große Vaterglück ein, sondern die Alpträume seiner Kindheit suchen ihn wieder heim – er verzweifelt an sich und seinem Leben. Während Julia sich von ihren Schwestern getragen fühlt und zunehmend stärker und unabhängiger wird, zieht William sich immer mehr zurück und fühlt sich einzig von seiner Schwägerin Sylvie verstanden. Schockiert über die eigenen Gefühle sieht er für sich nur einen einzigen Weg …                                        Ein prall gefüllter, emotionaler Familienroman über Liebe und Freundschaft, Lügen und Eifersucht, Einsamkeit und Zusammenhalt und über die Fragilität menschlicher Beziehungen ...


... ein wunderbares Buch, bei dem es ratsam sein könnte, ein paar Taschentücher in greifbarer Nähe zu haben …


Wir alle erinnern uns an die „Lewinsky-Affäre“ in den 90er-Jahren, als der damalige US-Präsident Bill Clinton die sexuelle Beziehung mit seiner Praktikantin Monica Lewinsky verleugnet hat und daraus ein Skandal entstanden ist. Parallel dazu erzählt Daisy Alpert Florin in „Mein letztes Jahr der Unschuld“ (Eisele Verlag; Übersetzung: Pociao und Roberto de Hollanda) von Isabel Rosens letztem Jahr am College zwischen Studienabschluss und Berufsleben, zwischen großer Freiheit und erwachsenem Verantwortungsgefühl. Isabels Hunger nach allen Facetten des Lebens lässt sie ihre Grenzen ausloten und als der charismatische Lehrer R.H. Connelly ihren Schreibkurs übernimmt, ist sie fasziniert von dem geheimnisvollen Mann, der ihr Talent erkennt, sie unterstützt und ihr Orientierung schenkt. Doch die beiden verlassen die professionelle Ebene und beginnen eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, die allerdings geheim bleiben muss, denn Connelly ist verheiratet …                                       Eine junge Frau zwischen sexuellem Verlangen und dem Traum von der großen Liebe trifft auf einen Mann, der nicht zu unterscheiden weiß zwischen Verantwortung, Betrug, Loyalität und Machtmissbrauch.


... ein zeitloser, mitreißend und klug erzählter Entwicklungsroman über Selbstfindung und die Schwierigkeiten, erwachsen zu werden!!


Wie bereits in „Die Hochzeit der Chani Kaufman“ gibt Eve Harris auch in „Die Hoffnung der Chani Kaufman“ (Diogenes Verlag; Übersetzung: Kathrin Bielfeldt) tiefe Einblicke in die Lebenswelt einer strenggläubigen jüdisch-orthodoxen Gemeinde in London. Seit über einem Jahr leben Chani und ihr Mann Baruch glücklich verheiratet in Jerusalem, einziger Wehrmutstropfen: Chani wird leider nicht schwanger und als Ehefrau ohne Kinder ist sie in orthodoxen Kreisen nichts wert. Baruch und Chani kommen zurück nach London, um sich in einer Kinderwunsch-Klinik Hilfe zu suchen. Es stellt sich heraus, dass die junge Frau früh in ihrem Zyklus ovuliert und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem sie noch als unrein gilt und von ihrem Mann nicht berührt werden darf. Damit steht das junge Paar vor einer großen Herausforderung, denn wie können sie der Gemeinde, dem Rabbi und ihren Familien ein Schnippchen schlagen, um endlich ihr lange ersehntes Baby zu bekommen? Chani muss sich in ihrer Gemeinde behaupten, ihre Grenzen ausloten und einen selbstbestimmten Weg finden, um mit Baruch ein glückliches Leben führen zu können.


... humorvoll, anschaulich, erschreckend und sehr liebevoll erzählt, bereichert Chani Kaufman unseren kulturellen Horizont!!


Ein aufschlussreiches Sachbuch über Frauen, die Geschichte geschrieben, aber die Männer dafür den Ruhm bekommen haben, ist „Beklaute Frauen“ von Leonie Schöller (Penguin Verlag): Denkerinnen, Forscherinnen, Künstlerinnen und Pionierinnen stehen hier im Mittelpunkt und bekommen die Aufmerksamkeit, die ihnen viel zu lange verwehrt worden ist. Fälschlicherweise bezeichnet als Muse, Sekretärin oder Ehefrau lebten die Frauen ein Schattendasein und sind damit völlig in Vergessenheit geraten – ein Zustand, dem dieses Buch Abhilfe schaffen möchte. Es zeigt anschaulich, wie schamlos weiblicher Forschungsgeist und Kreativität ohne schlechtes Gewissen für die eigenen, männlichen Interessen benutzt wurden. An Beispielen wie Elisabeth Hauptmann und Bertolt Brecht, Baya und Picasso, George Sand, Lise Meitner, Eleanor Marx und vielen anderen erläutert Leonie Schöller die Rahmenbedingungen eines patriarchalen Systems, das bis heute männliche Karrieren mehr fördert als weibliche. Umso wichtiger ist die stetige Diskussion, wie Gesellschaft sich weiterentwickelt und welche Veränderungen vorgenommen werden müssen, um die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau voranzubringen.


Eine spannende, aufschlussreiche und wichtige Lektüre, die ich allen Männern und Frauen ans Herz legen möchte!!



„Der größte Fehler der Frauen ist ihr Mangel an Größenwahn.“


Dieser Satz hing lange als Ermahnung über dem Schreibtisch der erfolgreichen deutschen Autorin Kirsten Boie, deren Rede anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März 2022 in Hamburg nun in Buchform mit dem Titel „Aufruf zum Größenwahn“ (Arche Verlag) gerade erschienen ist. Darin erzählt sie sehr persönlich von ihrem Weg zur Schriftstellerin und von den gesellschaftlichen Widerständen, die ihr immer wieder das Leben schwer gemacht haben. Sie zeigt deutlich, wo wir schon gute Entwicklungen sehen können, aber auch die Problematik wie zum Beispiel, dass Care-Arbeit immer noch zum größten Teil weiblich besetzt ist. Ein aufrüttelndes Plädoyer an die Frauen, endlich den Mut zu haben, alles zu wollen!! Oder um es mit Kirsten Boies „Seeräubermoses“ zu sagen:

 


„Wenn ich das will, dann kann ich das auch!“


In diesem Sinn wünsche ich allen Frauen ein bisschen mehr Größenwahn in ihrem Leben!
Wir lesen uns!
Eure Buchstaplerin

 

 


                        

                     

 

                                                                                                              

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