Die Buchbotschafterin - November Buchtipps #7

Passend zum November-Monats-Motto „Komme zur Ruhe und besinne dich“ habe ich zwei Vorschläge für euch: einen Roman und einen „Wegweiser“.

Ihr kennt das ja schon, dass ich das Stichwort des Monatsmottos auch gerne mal frei interpretiere und dann inhaltlich ganz woanders lande. So ein Fall ist:

Liane Moriarty „Neun Fremde“, Diana Verlag 2019, 528 Seiten

neun_fremde.jpg

Die australische Autorin Liane Moriarty hatte einen riesigen Erfolg mit ihrem Vorgänger-Roman „Big Little Lies“ – vielleicht kennt ihr die Verfilmung als Miniserie mit Nicole Kidman und Reese Wither­spoon? Auch sind die Filmrechte an diesem neuen Roman bereits vergeben – natürlich an Nicole Kidman.

Die Besinnung und das Zur-Ruhe-Kommen ist für die neun Gäste, die in das total abgelegene Wellness Resort „Tranquillum House“ reisen, sehr bald vergessen. Die fünf Frauen und vier Männer, die sich alle in diesem ganz neu eröffneten Luxus-Refugium eine Klarheit zu ihren Lebensthemen wünschen, werden von der charismatischen und strengen Russin Masha Dmitrichenko bald auf einen ganz anderen Trip geschickt.

Wir kommen an mit der ehemaligen Bestseller-Autorin Frances Welty, eine stolze Frau in ihren 50ern, die gerade eine unglückliche Liebesaffäre hinter sich hat, und deren Verlag gerade ihr letztes Manuskript schnöde abgelehnt hat.

Bald nach ihr trifft das junge, superreiche Pärchen Ben und Jessica Chandler ein, deren Beziehung in einer heftigen Krise steckt. Ben ist eher unwillig dabei, er sorgt sich mehr um seinen nagelneuen Lamborghini, der im Schneckentempo die nicht asphaltierte Zufahrt zum Resort hinaufschleichen musste.

Weitere Gäste sind Lars Lee, ein schwuler Anwalt, der sich darüber klar werden will, ob er mit seinem Mann eine Familie gründen will, Carmel Schneider, eine völlig gestresste alleinerziehende Mutter, die diesen Aufenthalt von ihrer Schwester geschenkt bekam und der 56-jährige Tony Hogburn, Ex-Football-Star, geschieden und fern seiner Kinder, der eigentlich nur zum Abnehmen gekommen ist.

Und schließlich ist da noch das Paar Napoleon Marconi und seine Frau Heather, die ihre 20-jährige Tochter Zoe dabei haben, und die den Tod von Zoes Zwillingsbruder drei Jahre zuvor überwinden wollen.

Zehn Tage soll das vorgesehene Retreat für alle dauern. Mit Meditationen, Yoga und Wanderungen hatten sie gerechnet, doch dass es mit fünf Schweigetagen beginnt, ist für die meisten schwer zu ertragen. Einzig in den Beratungsstunden mit Masha ist das Sprechen erlaubt. Und schon geht es los mit den kleinen Ausflüchten und großen Geheimnissen, und bald sind wir mittendrin in einem Psycho-Abenteuer, das alle großen Themen des Lebens von Liebe und Tod, Verrat und Vertrauen bis hin zu Verzeihen und Hoffnung bearbeitet, und das tatsächlich für alle neun Fremde völlig anders endet als erwartet - auch für Masha.

Dieser Roman ist pure, spannende Unterhaltung, leicht zu lesen, aber man bleibt doch an der einen oder anderen Formulierung hängen. 

„Auch Napoleon konnte in seinem Herzen Hass gegen Heather finden, wenn er danach suchte. Das Geheimnis einer glücklichen Ehe war, nicht danach zu suchen.“

Der Humor ist trocken, aber Liane Moriarty verrät ihre Figuren nicht, sie hat immer eine große Zuneigung zu den absurdesten menschlichen Verhaltensweisen. Natürlich mag man anmerken, dass es eine konstruierte Versuchsanordnung ist, aber diese wird auf mitreißende Weise durchgespielt und wirkt schlüssig, sodass man es der Autorin nicht verübelt. 

Vielleicht ist der perfekte Ort zum Lesen tatsächlich ein schönes Wellness-Hotel – egal ob in den Bergen oder am Meer …

Jetzt kommt aber ein wirklich besinnlicher Lektürevorschlag:

Erling Kagge „Stille – Ein Wegweiser“, Insel Verlag 2017, 144 Seiten

stille.jpg

Der norwegische Autor, Abenteurer und Verleger Erling Kagge war der erste Mensch, der alle sogenannten drei Pole der Welt erreicht hat: den Nord- und Südpol sowie den Mount Everest, den höchsten Berg der Erde. 

Angeregt von einem sonntäglichen Gespräch beim Mittagessen mit seinen drei Teenager-Töchtern begibt er sich auf die Suche nach der Antwort auf diese drei Fragen:

Was ist Stille? Wo ist sie? Warum ist sie heute wichtiger denn je?

In diesem schmalen, schön gestalteten Hardcover, das auch zahlreiche Fotos und Abbildungen enthält, gibt er darauf 33 Antworten, oder Versuche einer Antwort - wie der Autor selbst es nennt. Diese sind natürlich gespeist aus seinen zahlreichen Expeditionserfahrungen – wo kann es stiller sein als in der Antarktis? – aber es sind manchmal auch nur Assoziationen über den heutigen, modernen Lebensalltag oder Ausflüge zu verschiedenen Philosophen. 

Und natürlich sind in einem Buch über die Stille auch immer Geräusche oder gar Lärm ein Thema. Er denkt über ganz unterschiedliche Varianten wie langweilige Stille oder aggressive Stille nach und kommt dabei manchmal zu ganz anderen Schlussfolgerungen jenseits der momentan so angesagten Achtsamkeit. 

Immer formuliert Erling Kagge sehr persönlich, was den Effekt hat, dass man sich als Leserin direkt angesprochen fühlt. Und ich bin in der Zeit während und nach der Lektüre mit sehr offenen Ohren durch die Gegend gegangen.

Aus all seinen zum Teil überraschenden Antworten spricht eine unbändige Freude am Leben und das ansteckende Staunen über die Welt. Und glücklicherweise empfiehlt er am Ende den Stille-Suchenden auch nicht, an den Südpol zu fahren – im Gegenteil. 

Nun sind wir gespannt, ob euch unsere Tipps gefallen oder vielleicht sogar schon eine Idee für ein Weihnachtsgeschenk sind?

Wir freuen uns sehr auf eure Anregungen und Kommentare.