
Alles Miese zum Muttertag.
Letztes Jahr am Muttertag eve. 11 Uhr nachts: Ich sitze in der Notaufnahme der Münchner Augenklinik. Am linken Auge sehe ich auf einmal die Hälfte schwarz. Wie so eine Bildstörung am Computer. Ich bin nicht beunruhigt, denn ich habe eine Bindehautentzündung und ich denke, mein Auge ist einfach gestresst.
Mitternacht Muttertag eve:
Eine sehr junge Ärztin ruft mich ins Ärztezimmer und ich bekomme folgende Diagnose: „Sie haben entweder ein raumforderndes Ereignis im Kopf oder Sie hatten einen Schlaganfall…“. Auf meine Frage, ob es etwas anderes noch sein könnte, meint sie: „Ja, eine Sehnerventzündung, aber die geht dann oft auf beide Augen.“ Meine Nachfrage, ob sich ein Sehnerv erholen kann, beantwortet sie mit NEIN. (Für die Mediziner unter euch: Wie gesagt, sie war sehr jung und sie hatte wohl nicht überall in den Vorlesungen aufgepasst. Und so richtig wusste sie auch nicht, wie man mit Menschen in Krisensituationen umgeht.)
Bääääääähmmmm.
Ich werde mitten in der Nacht in die Universitätsklinik eingeliefert.
Wow, so schnell kann man also ausgebremst werden. Am selben Tag war ich noch in Leipzig, auf einem Brian-Ferry-Konzert und wollte danach noch auf einen 50. Geburtstag gehen. Denn bis dato hatte ich eigentlich Vollgas gegeben, ohne Rücksicht auf mich und meinen Körper.
Die daraus folgende Ärzteodyssee erspare ich euch (die Diagnose steht bis heute nicht fest, da man für keine Variante eindeutige Hinweise gefunden hat). Was ich aber euch heute eigentlich schreiben will, ist, wie ich dann aus dem tiefen Tal der Tränen wieder rausgekommen bin. Denn jeder von uns hat schon eine Krise erlebt oder wird sie erleben, ob gesundheitlich oder seelisch. Und ich hatte resultierend aus dieser Erkrankung beides.
Meine erste Phase:
Ich wollte, dass alles so weitergeht wie bisher, wollte mir nicht eingestehen, dass ich jetzt wirklich richtig krank bin. Also gleich das erste Wochenende wieder auf einen Berg hoch. Beim Runtergehen festgestellt, dass einäugig das räumliche Verständnis ein völlig anderes ist. Also wie so ne alte Frau den Berg runter. Wo mir doch immer das Tempo sooooo wichtig war. Egal ob beim Bergaufradeln, Wandern, Skifahren, Aufräumen, Arbeiten. Alles musste super schnell gehen, sonst habe ich mich nicht gut gefühlt. Weiterhin ins Büro gegangen, obwohl ich manchmal kaum den Mauszeiger gefunden habe.
Hauptsache alles so wie immer.
Meine zweite Phase:
Manisches Gegoogle, denn es kann nicht sein, dass mich das Ganze getroffen hat. Ich, die doch immer so gesund gelebt hat, gelaufen ist (sogar einen Marathon), Spitzenblutwerte beim Arzt hatte und darauf auch noch stolz war, kein Übergewicht, und mich doch eigentlich gesund ernährt habe. (Oke, bis auf meinen übermäßigen Zuckerkonsum.)
Meine dritte Phase:
Die Alternativmedizin. Ich mache eine Ayurvedakur. Traumhafte Location. In den Tiroler Bergen. Meine Herzensheimat. Genau mein Herz – das öffnet dort ein indischer Arzt und eine sehr junge Heilpraktikerin.
Mein Herz zu mir selbst.
Zu begreifen, dass ich über mich selbst gegangen bin, einfach nur, um zu gefallen. Keine Rücksicht auf mich, keine Rücksicht auf meinen Körper. Seelischer Zusammenbruch in meiner Herzensheimat. Auf einem Berggipfel heule ich Rotz und Wasser und mir wird klar, dass ich etwas ändern muss. Dass ich so nicht mehr weitermachen kann.
Meine vierte Phase:
Ich steige aus, nehme mir vor, nicht mehr um Gefallen zu buhlen. Und das ist ja als Grafikerin daily Business. Ich entscheide, dass ich, wenn ich wieder arbeiten werde, nur noch für Menschen und Projekte arbeite, die mir gut tun.
Meine fünfte Phase:
Ich falle in eine tiefe Traurigkeit. Weiß nicht mehr, wohin ich gehöre. Alles, was mir wichtig war, meine Familie, mein Job, mein Sport. Alles fühlt sich nicht mehr so an wie vorher. (Denn gerade jetzt zieht auch noch meine ältere Tochter aus.) Ich fühle mich wahnsinnig deplatziert auf dieser Welt. Der Mediziner sagt dazu Anpassungsstörung.
Meine sechste Phase:
Ich mache ein Achtsamkeitstraining, lerne mich zu entspannen, nehme staunend war, wie mein Körper nach und nach gesundet. Denn zusätzlich zu der Sehstörung hat mein Körper noch Sensibilitätsstörungen entwickelt - in Fingerspitzen, Fußspitzen und an der Nase. Gaanz langsam fühle ich mich wieder besser, möchte nicht mehr nur die Decke über den Kopf ziehen.
Meine siebte Phase:
Eine Grippe nockt mich noch einmal so richtig aus. RÜCKSCHRITT. Und ich fühle mich wieder so richtig mies. Am allerschlimmsten Tag rufe ich meinen Friseur an: Ich brauch einen Schnitt!
CUT!
Verrückt, aber seitdem geht es mir besser. Klingt wirklich klischeehaft, aber genauso war es bei mir. An diesem Tag beschließe ich vor dem Spiegel bei meinem Herzensfriseur: Ich lasse mich nicht mehr unterkriegen. Denn schließlich habe ich nur dieses eine Leben... Und entweder bemitleide ich mich jetzt meine restliche Zeit oder ich fange an, mich mit der Situation anzufreunden und lebe weiter. Der Psychologe sagt dazu Akzeptanz.
Mein zweites Leben hat jetzt begonnen, weil ich begriffen habe, dass ich nur eins habe.
Meine Arbeit musste ich eh komplett runterreduzieren, da ich nach 2 Stunden den Mauszeiger auf dem großen Bildschirm nicht mehr sehe. Laufen gehe ich nur noch in meinem Tempo. Wenn ich zu Veranstaltungen eingeladen bin, die mir nicht behagen, sage ich ab. Ich muss nicht mehr überall dabei sein. Und das Komische, seitdem haben sich ganz viele tolle Dinge ereignet. Mein Leben fühlt sich viel richtiger an.
Und ich bin soooo dankbar, dass ich diese zweite Chance bekommen habe. :)
„Alles Gute zum Muttertag“, wünsche ich mir. Und natürlich euch.
Und solltet ihr gerade in einer Krise sein, ich kann euch versichern, so tief kann das Tal gar nicht sein, dass ihr da nicht wieder rauskommt.
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