Die Buchbotschafterin: Mai-Buchtipp #2
Das war ja eine ganz wunderbare Resonanz auf meine ersten Buch-Vorschläge im April. Da macht es mir richtig Spaß, die nächsten Tipps an Euch rauszuschicken:
Das FTF-Mai-Motto „Öffne Dich für neue Begegnungen“ lässt mich an eine Fülle von Romanen denken. Ich konnte mich gar nicht richtig entscheiden, denn so viele literarische Geschichten handeln davon, dass Menschen aufeinander treffen und dann das Leben eine ungeahnte Richtung nimmt.
Dies geschieht auf eine ganz besonders packende Weise in meinem
Mai-Buchtipp 1
Jardine Libaire „Uns gehört die Nacht“, Diogenes Verlag
Die 46-jährige US-amerikanische Autorin Jardine Libaire hat bisher Kurzgeschichten und Kinderbücher veröffentlicht. Dieser Roman hat also etwas von einem Debüt.
Die Geschichte beginnt im Juni 1987 in einem billigen Motel-Zimmer in Wyoming: das Paar Elise Perez und Jamey Hyde, beide Anfang 20, sitzen sich gegenüber. Elise hält ein Gewehr an Jameys Brust und ist kurz davor, abzudrücken.
Ein Zeitsprung nimmt uns zurück in den März des Jahres zuvor: Weil sie zufällig Nachbarn sind, lernen sich die Halb-Puerto-Ricanerin Elise, die aus armen Verhältnissen stammt, und der verwöhnte Yale-Student Jamey kennen, und eine wilde, leidenschaftliche Liebesgeschichte beginnt. Gegensätzlicher könnten die beiden nicht sein. Elise ist mit 19 von zuhause abgehauen, weil sie mehr vom Leben will, als in einem Trailerpark drogenabhängig zu werden und viel zu früh Kinder zu kriegen.
Jamey ist mit seinem Leben in der allerhöchsten Upperclass, als Millionenerbe einer Investmentbanker-Familie, wo Geld im Überfluss vorhanden ist und einflussreiche Netzwerke schon von Geburt an geknüpft werden, eigentlich ganz zufrieden. Doch schon länger fehlt ihm ein echtes Gefühl der Zugehörigkeit, und seine Zweifel an seinem elitären Leben blitzen immer häufiger auf.
Obwohl diese Konstellation vielleicht etwas konstruiert klingt, ist der Roman aufgrund der kraftvollen, manchmal schroffen Sprache und immer wieder überraschender Wendungen eine mitreißende Lektüre. Der besondere Pluspunkt ist, dass es sich hier um wirklich lebendige Charaktere handelt, mit denen man mitfühlen kann und deren weitere Entwicklung man gespannt verfolgt – auch, weil beide immer unberechenbarer werden. Die Autorin schafft es, mit einprägsamen, fast filmischen Bildern, die Gegensätze der Welten am alleruntersten und allerobersten Ende der Gesellschafts-Skala (fast) ohne Klischees darzustellen. Sehr genau seziert sie die Mechanismen, die in jeder dieser Gruppen herrschen und wie sehr jeder mit seiner Herkunft verbunden bleibt, egal, ob sie einem gut tut oder nicht. Deshalb lässt sie es auch offen, was schlimmer ist: Ob man als junger Mensch in einer superreichen gefühllosen Familie unter „Wohlstandsverwahrlosung“ leidet oder aber in ein emotional warmherziges Umfeld ohne Geld und Zukunftsperspektiven hineingeboren wird.
Das Ende dieser Geschichte ist auf jeden Fall eine große Überraschung.
Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen. Guy de Maupassant
Interviews sind Begegnungen pur und können auch richtig witzig sein – deshalb hier mein
Mai-Buchtipp 2
Sophie Passmann „Alte weiße Männer – Ein Schlichtungsversuch“, Kiepenheuer & Witsch
Wer sind nochmal grad die „alten weißen Männer“? Die Bedeutung dieses neuen Kampfbegriffs sollte dringend mal abgeklärt werden, meint die „junge weiße“ Bloggerin, Moderatorin und Feministin Sophie Passmann. Sie versammelt in amüsanten und interessanten Interviews die Antworten, die ihr Männer im Alter zwischen 30 und 70 Jahren gegeben haben.
Herausgekommen ist eine fast zu homogene Mischung von 15 erfolgreichen Persönlichkeiten, hauptsächlich aus Politik und Medien: von Sascha Lobo über Robert Habeck zu Kai Diekmann bis hin zu Rainer Langhans, und auch ihren eigenen Vater Passmann hat sie befragt. Interessant wäre auch gewesen, zu erfahren, wer alles nicht bereit war, mit ihr zu sprechen.
Sophie Passmann hat die Gespräche aufgezeichnet und anschließend die Texte mit ihren eingefügten Kommentaren verarbeitet. Ihr trockener Humor stößt dabei natürlich gern genau in die wunden Punkte ihrer manchmal zu selbstzufriedenen Gesprächspartner. Am Ende gibt es dann für jeden Interviewten eine Kurzbeurteilung.
Der Alt-68er-Kommunarde Rainer Langhans, der sich am Begriff des „Opfer-Feminismus“ abarbeitet, entpuppt sich dabei als volle Katastrophe in Bezug auf Gleichstellung von Mann und Frau, und man wünscht ihn sich schnell in seinen Harem zurück.
Erwartungsgemäß respektvoll gegenüber Frauen treten besonders Robert Habeck von den Grünen, und Kevin Kühnert, Juso-Vorsitzender, hervor. Viele andere Porträtierte entlarven sich wunderbar selber, wenn sie der 25-Jährigen gegenüber den erfahrenen Mann geben – da gibt es herrliche Altersdiskriminierung in beide Richtungen.
Einig sind sich schließlich alle, dass „alter weißer Mann“ nur eine Schubladenbezeichnung ist und nur die wenigsten Männer sehen diese Bezeichnung als positiv oder gar erstrebenswert an. Aber überraschend viele Männer tun sich tatsächlich schwer bei dem Gedanken, Macht oder Einfluss an Frauen abzugeben und sehen gar nicht so viel Handlungsbedarf. Oft versteckt sich diese bequeme Haltung nur in Kleinigkeiten, die Sophie Passmann aber nicht entgehen.
Diese abwechslungsreiche Statement-Sammlung dient weniger der Schlichtung, sondern ist vielmehr eine Bestandsaufnahme zum momentanen Stand der Gleichberechtigung. Das Phänomen „alter weißer Mann“ mag als Begriff bald abgenutzt sein, dass es aber bis zu einer wirklich gerechten Gesellschaft noch ein längerer Weg ist, wird leider ebenfalls klar.
Dieses Buch macht Lust, aufmerksamer hinzuhören und vielleicht auch selber in Gesprächen, nicht nur mit „alten weißen Männern“, wieder etwas kritischer und unbequemer zu werden.
Freundschaften fangen mit Begegnungen an ...
Und noch in Kürze mein
Buchtipp 3
in dem es um eine Wieder-Begegnung einer Tochter mit ihrer Mutter geht:
Elizabeth Strout „Die Unvollkommenheit der Liebe“, btb
Viele Jahre hatte die Schriftstellerin Lucy Barton keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter, doch als sie schwer erkrankt in einer Klinik liegt, kommt diese überraschend zu Besuch. Die fünf Tage, die sie gemeinsam mit Reden und Schweigen verbringen, lässt die schwierige familiäre Vergangenheit wieder aufleben.
Die US-Autorin Elizabeth Strout, Jahrgang 1956, gehört zu meinen absoluten Lieblingsautorinnen und hat einen ganz besonderen Blick auf die Welt und die Menschen.
Wenn Euch dieser Roman gefallen hat, gibt es noch viele weitere von ihr zu lesen.
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