FTF Die Buchstaplerin #30 – Über die Nacht
„Kurz bevor die Sonne aufgeht, ist die Nacht am dunkelsten.“
(Selma Lagerlöf)
Die Nacht ist die Zeit der Dunkelheit zwischen Abend und Morgen. Während die Wochentage unterschieden werden, bleibt die Nacht einfach immer nur die Nacht und man verbindet sie mit Finsternis, Schlaf und Einsamkeit. In der Romantik war die Nacht ein Symbol für Schmerz, unerfüllte Liebe, Sehnsucht und Tod, aber gleichzeitig stand sie auch für Harmonie und Einklang. Sie ist geheimnisvoll, schenkt uns Ruhe und Erholung, kann uns aber auch mit wilden Gedanken und Träumen den Schlaf rauben.
Die Nacht lässt die alltäglichen Gedanken verschwimmen, sie fasziniert und ängstigt gleichermaßen – kein Wunder also, dass die Nacht auch in der Literatur eine große Rolle spielt!
Die Tage werden kürzer, die Nächte länger – eine wunderbare Zeit für die unheimlichen Geschichten, die in Schaurige Nächte (DuMont Verlag, Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence) versammelt sind: Acht spannende, atmosphärische und gruselige Erzählungen, die dazu einladen, sich eine Tasse heißen Tee zu kochen, Kerzen anzuzünden, es sich in einer kuscheligen Decke auf dem Sofa gemütlich zu machen und feine Geistergeschichten zu lesen oder vorzulesen. Autor:innen wie Bridget Collins, Jess Kidd, Andrew Michael Hurley oder Laura Purcell erzählen von Gespenstern vergangener Tage, unheimlichen Begegnungen, Geistererscheinungen und Spukhäusern und schenken bei der Lektüre wohligen Nervenkitzel. Die Geschichten spielen im England des 19. Jahrhunderts und lassen die viktorianische Zeit wiederauferstehen: very british, very spooky & very creepy! Unheimliche Geschichten – nicht nur für den Winter!
Wir freuen uns, dass wir drei „Schaurige Nächte“ auf Instagram verlosen dürfen – ein herzliches Dankeschön an den Dumont-Buchverlag.
Um ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte geht es in Meine langen Nächte von Ilva Fabiana (Steidl Verlag: Übersetzung: Birgit Ulmer): Anna Alrutz wächst wohlbehütet in einer liberalen Arztfamilie mit zwei jüngeren Geschwistern auf. Über den Bruder einer Freundin kommt sie schon früh mit dem Nationalsozialismus in Berührung und trotz der vehementen Abneigung ihres Vaters und den gewalttätigen Übergriffen an ihrem Bruder durch Braunhemden wächst ihre Begeisterung für die Nazis. Sie studiert Medizin, aber als ihre kleine Schwester an ihrer Erbkrankheit verstirbt, bricht Anna ihr Studium ab, wird „braune“ Krankenschwester und unterstützt einen Arzt bei der Zwangssterilisation von kranken, behinderten oder sozial benachteiligten Frauen, denn sie ist von Hitlers Ideen zutiefst überzeugt. Doch dann verliebt sie sich in den französischen Juden Thierry und ihr gesamtes Weltbild gerät ins Wanken …
Ilva Fabiana wählt eine ungewöhnliche Erzählperspektive: Annas Geist weht durch die Seiten und erzählt die wichtigsten Momente als Beichte ihres Lebens. Poetisch und feinfühlig deckt die Autorin die Mechanismen von Manipulation und blindem Gehorsam auf – ein intensiver, beeindruckender Roman, der noch lange nachhallt!
Die Nacht ist prädestiniert für lange, tiefe Gespräche, die bis zum Morgengrauen dauern dürfen: In Nachts erzähle ich dir alles von Anika Landsteiner (Krüger Verlag) reist die Münchnerin Lea in das Ferienhaus ihrer verstorbenen Großeltern nach Südfrankreich, um Abstand zu gewinnen und Entscheidungen für ihr weiteres Leben zu treffen. Gleich am ersten Abend lernt sie in ihrem Garten ein geheimnisvolles Mädchen namens Alice kennen, das am nächsten Tag tot aufgefunden wird. Kurz darauf steht Emilie, der Bruder von Alice, vor Leas Tür und sucht nach Antworten, denn Lea war die letzte Person, die mit Alice gesprochen hat. Emile ist ein erfolgreicher Podcaster und möchte den Tod seiner schwangeren Schwester aufklären, während Lea vor allem mit ihren eigenen Problemen beschäftigt ist. Nacht für Nacht erzählen sich die beiden ihre Geschichten über ihre Hoffnungen und Ängste, Schuld und Verantwortung, Verlust und Enttäuschung, Mut und Ehrlichkeit und über ihre unterschiedlichen familiären Hintergründe.
Anika Landsteiner erschafft in Worten die Atmosphäre südfranzösischer Sommernächte, die so wunderbar leicht erscheinen, und setzt mit den großen Lebensthemen der beiden ein Gegengewicht, das dem Roman Tiefe und Kraft verleiht. Dabei verbindet sie wichtige, gesellschaftliche Themen mit persönlichen Wegen und schafft damit kluge Unterhaltungsliteratur!
Eine Hommage an die Nacht ist der skurrile, kleine Roman Gute Nacht, Tokio des japanischen Buchdesigners und Schriftstellers Atsuhiro Yoshida (Hanser blau Verlag; Übersetzung: Katja Busson): Das Taxiunternehmen „Blackbird“ ist spezialisiert auf Nachtfahrten. In dem kleinen Unternehmen arbeitet Matsui, der Nacht für Nacht die unterschiedlichsten Menschen durch Tokio chauffiert, von ihren Lebensgeschichten, Sorgen und Nöten erfährt und deren zufällige Begegnungen Folgen für die einzelnen haben werden: eine Filmrequisiteurin, die immer auf der Suche nach ausgefallenen Requisiten ist, eine Telefonseelsorgerin, die für ihre Mitmenschen nachts ein offenes Ohr hat, ein Barkeeper, ein Privatdetektiv und eine angehende Schauspielerin lassen sich wie in einem Reigen von Matsui durch die Millionenstadt fahren und ihre Geschichten scheinen auf magische Art und Weise miteinander zusammenzuhängen. Die Nacht zeigt sich hier melancholisch, entrückt und verzaubernd wie ein schöner Traum, der Hoffnung schenkt und glücklich macht! Ein modernes Großstadtmärchen als Episodenroman in japanischer Origami-Manier für alle Nachteulen, die nicht gut schlafen können!
Hand aufs Herz: Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, alles hinter sich zu lassen, um an einem Sehnsuchtsort ein völlig anderes Leben zu führen? Die deutsche Journalistin und Reiseschriftstellerin Bernadette Olderdissen hat sich ihren Traum von einem Jahr in Schwedisch-Lappland verwirklicht und erzählt in Zwischen ewigem Sommer und tiefster Nacht (Malik Verlag) von ihren zwölf Monaten in einem 200-Seelen-Dorf am Polarkreis. In Schwedens Norden spricht man von acht Jahreszeiten, denn die Übergänge zwischen den Jahreszeiten werden mitberücksichtigt, sodass es zudem einen Frühlingswinter und -sommer sowie einen Herbstsommer und -winter gibt. Mitten im Winter reist die Hamburgerin an den vereisten Bottnischen Meerbusen und ist fasziniert von der kraftvollen, energiegeladenen Natur, die ihr aber auch Grenzen aufzeigt. Sie lernt sich dem Rhythmus der Jahreszeiten anzupassen, indem sie sich von den Einheimischen helfen lässt und Teil der samischen Dorfgemeinschaft wird. Sternenklare Nächte, verschneite Wälder, ewiges Licht und die Rentiere machen sie glücklich, die Erfahrungen und Herausforderungen lassen sie wachsen und schenken ihr einen neuen Blick auf die Natur. Kurzweilig, informativ und mit viel Humor macht die Geschichte von Bernadette Olderdissen Lust auf den Norden und auf Abenteuer jenseits der eigenen Komfortzone!
„Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?“
Wer wissen möchte, wo auf der Welt man welche Sterne am besten sieht, für den ist Himmelleuchten – Der ultimative Travelguide für den Blick nach oben von Valerie Stimac (Lonely Planet Verlag) das perfekte Buch. Der Himmel als Sehnsuchtsort und die Milchstraße, der große Wagen, Meteorströme, Sternschnuppen und Polarlichter als Glanzpunkte einer klaren Nacht in Kombination mit den weltbesten Plätzen für Hobby-Astronomen und Sternenfänger werden hier vorgestellt, denn das Beobachten des Nachthimmels gehört zu den faszinierendsten Schauspielen der Natur. Dunkelheit, ein wolkenloser Himmel, die richtige Uhrzeit und ein paar Vorkenntnisse lassen die Sternennacht in einem besonderen Licht erstrahlen und zeigen deren Erhabenheit und Schönheit in ganzer Pracht. Der Bildband zeigt die besten Plätze zur Sternenbeobachtung rund um den Globus, lädt dabei zu einer Himmelsreise ein und die Abenteurer:innen erfahren zudem noch Details über Raketenstarts und Weltraumtourismus. Die beeindruckenden Bilder versprechen, dass der nächtliche Blick nach oben sich lohnt und wir den Tageshimmel auch am nächsten Morgen mit anderen Augen betrachten werden!
Von der ersten großen Liebe, die einen durchs Leben begleitet, erzählt der romantisch-tragische Liebesroman Vom Ende der Nacht von Claire Daverly (Hanser blau Verlag; Übersetzung: Margarita Ruppel): So unterschiedlich Will und Rose auf den ersten Blick zu sein scheinen, so stark ist die Anziehungskraft, der sich die beiden nicht entziehen können. Lange Spaziergänge, heimliche Telefonate, Lagerfeuer-Romantik und Gespräche bis zum Sonnenaufgang lassen ihre Teenager-Welt rosarot erscheinen - bis in einer Sommernacht ein tragisches Unglück passiert, das ihre gemeinsame Zukunft in Frage stellt. Doch das Leben führt Will und Rose immer wieder zusammen, sie können einander nicht vergessen, aber wie belastbar ist eine Liebe? Die Frage nach dem „Was wäre, wenn …“ begleitet sie durch ihr Leben, doch das Schicksal trennt die beiden immer wieder. Eine zärtliche, sanfte und sehr besondere Liebesgeschichte, die (fast) ohne Kitsch auskommt, von den Licht- und Schattenseiten des Lebens erzählt, Freundschaft, Liebe und Familie in den Mittelpunkt stellt und die mit unseren Gefühlen Achterbahn fährt - man liest bis ans Ende der Nacht, weil man von Kapitel zu Kapitel auf das Happy End hofft! Ein Liebespaar, das man nicht so schnell vergisst!
Lob des Einschlafens
Man gähnt vergnügt und löscht die Lampen aus.
Nur auf der Straße ist noch etwas Licht.
Man legt sich nieder. Doch man schläft noch nicht.
Der Herr von nebenan kommt erst nach Haus.
Man hört, wie er mit der Dame spricht.
Nun klappt man seine Augendeckel zu,
Und vor den Augen tanzen tausend Ringe.
Man denkt noch rasch an Geld und solche Dinge.
Im Nebenzimmer knarrt ein Schuh.
Wenn doch die Dame in Pantoffeln ginge.
Erich Kästner
Wer kennt das nicht? Spätestens in den Wechseljahren kann fast jede Frau ein Lied von durchwachten Nächten singen, von kreisenden Gedanken und dem qualvollen Hin- und Herwälzen im Bett, ohne den nötigen Schlaf zu finden. In dem liebevoll gestalteten Büchlein Wenn man nachts nicht schlafen kann versammelt Paula Schmid (Insel Verlag; Illustriert von Katrin Stangl) Gedichte und kleine Geschichten von bekannten Autorinnen und Autoren: Es geht um Nächte in der freien Natur, um die Nacht als Zeit des Lesens, um das Nachtleben, um die Liebe, um Kinder und um sternenklare Himmelsnächte. Wer weiß - vielleicht lässt es sich nach dieser passenden Lektüre besser einschlafen?
Ich wünsche euch traumschöne Nächte und falls ihr keinen Schlaf findet, wünsche ich euch ein schönes Buch auf dem Nachttisch, das euch die Nacht verkürzt und von schlechten Gedanken befreit!
Wir lesen uns!
Eure Buchstaplerin
© FTF, Sabine Fuchs und Ulrike Heppel
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Kommentare
Wiedermal tolle Vorschläge. Dieses mal hab ich mein Buch sofort gefunden, werde mir "Meine langen Nächte" holen.
Liebe Manuela,
das wäre auch mein Favorit! Bin gespannt, wie es dir gefällt. ♡ Uli
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