FTF Die Buchstaplerin #38 – Buchpreis & Buchmesse 2024
Der Oktober steht im Zeichen des Buches: vom 16. – 20. Oktober findet in Frankfurt die Buchmesse statt und kurz davor, am 14.10., wird im Frankfurter Römer der Deutsche Buchpreis verliehen, an den Roman des Jahres.
Für mich dieses Jahr ein sehr besonderes Ereignis, weil ich als Buchpreisbloggerin Patin für eines der nominierten Bücher sein darf!
Wie funktioniert der Deutsche Buchpreis? In diesem Jahr zum 20. Mal kürt eine siebenköpfige Jury bestehend aus Journalist:innen, Kritiker:innen und Buchhändler:innen den vermeintlich besten Roman 2024, ausgewählt aus 180 eingereichten Büchern von 106 Verlagen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Am 20. August wurde dann die Longlist mit 20 Titeln vorgestellt und unter 20 Buchblogger:innen wurden die Bücher ausgelost, für die sie als Patin und Pate stehen und über die sie bei Instagram schreiben. Am 17. September verkleinerte sich der Kreis mit der Shortlist auf sechs Bücher und am 14. Oktober wird dann feierlich der Roman des Jahres verkündet.
Ich bin Buch-Patin geworden ...
Ich freue mich sehr, dass ich Patin von Das dritte Leben von Daniela Krien (Diogenes Verlag) sein darf, denn die Autorin hatte mich schon mit anderen Romanen begeistert und auch mit ihrem neuen Buch ist ihr ein herausragender Roman gelungen, der lange nachwirkt!
Das dritte Leben
Es geht um das Schlimmste, was man sich als Mutter nur vorstellen kann: das eigene Kind zu verlieren.
Als Lindas einzige Tochter bei einem tragischen Fahrrad-Unfall stirbt, stürzt sie in einen tiefen, dunklen Abgrund und verfällt in lähmende Trauer. Auch ihre glückliche Ehe mit Richard bekommt durch den Verlust Risse, denn Linda kann in ihrer Haltlosigkeit nur mit sich alleine sein. Wie ein verwundetes Tier sucht sie Zuflucht in der Natur – in einem Häuschen auf dem Land umgeben von einem großen Garten, Hühnern und einem alternden Hund versucht sie Tag für Tag zu überleben. Klitzekleine, kaum sichtbare Schritte ebnen ihr den Weg zurück zu sich selbst: ausgedehnte Spaziergänge, die Arbeit im Garten, neue Menschen, kleine Projekte und ein selbstbestimmter Tagesrhythmus helfen ihr dabei, ganz langsam ihre lähmende Trauer hinter sich zu lassen… Trotz aller Schwere findet Daniela Krien die richtigen Worte, indem sie nicht ein Rezept für die perfekte Trauerbewältigung gibt, sondern Schritt für Schritt, ohne zu beschönigen, kleine Lichtblicke setzt und Mutausbrüche zulässt, die Hoffnung machen. Dabei wird sie nie rührselig oder kitschig, sondern sie verarbeitet das Thema mit Intensität, klarer Sprache und großem Einfühlungsvermögen und entfaltet dabei eine Kraft, die Zuversicht gibt auf ein Leben danach!
Was ich am Deutschen Buchpreis so schätze, ist die Auswahl von Büchern, zu denen ich sonst eher nicht gegriffen hätte und die Longlist der Jury führt mich jedes Jahr zu besonderen Entdeckungen:
Das Wohlbefinden
Ulla Lenze schreibt mit Das Wohlbefinden (Klett Cotta Verlag) eine faszinierende Geschichte, die in den Arbeiter-Heilstätten für Lungenkranke in Beelitz spielt und einen Einblick in eine vergangene Ära schenkt: 1907 begegnen sich dort die Schriftstellerin Johanna, die ein Buch über die Einrichtung vor den Toren Berlins schreiben soll, und die Fabrikarbeiterin Anna, die als hellsichtiges Medium für Aufregung sorgt, denn alles Okkulte war zu damaligen Zeiten von großem Interesse. Auch Johanna ist fasziniert von Anna und sucht ihre Nähe, aber Anna lässt sich von nichts und niemandem instrumentalisieren und die beiden werden zu Rivalinnen. Einige Jahrzehnte später versucht Johanna die ungleiche Beziehung zwischen ihnen einzuordnen, doch erst mit ihrer Urenkelin Vanessa, die eine Wohnung in Beelitz besichtigt, bekommt man eine neue Sicht auf die Dinge, die damals passiert sind …
Ulla Lenze spannt bravourös den Bogen über ein Jahrhundert Heilung, Spiritualität und Wohlbefinden und portraitiert dabei drei Frauenleben zwischen Selbstfindung und Lebensrealität. Ein Roman, der Geschichte unterhaltsam und informativ lebendig werden lässt!
In Hey, guten Morgen, wie geht es Dir?
In Hey, guten Morgen, wie geht es Dir? von Martina Hefter (Klett Cotta Verlag) geht es um Juno, Anfang 50, die ihren schwerkranken Mann Jupiter zuhause pflegt und immer wieder als Performance Tänzerin arbeitet – dementsprechend unregelmäßig sind ihre Einkünfte, aber Jupiter braucht Tag und Nacht ihre Hilfe. Um sich von ihrem Alltag abzulenken, chattet sie nachts im Internet mit sogenannten Love-Scammers, bei denen sie unterschiedliche Bilder ihres erfundenen Lebens inszeniert und dabei in diverse Rollen schlüpft. Obwohl sie genau weiß, dass ihre Gesprächspartner Lügner sind, die es auf Geld abgesehen haben, intensiviert sie den Kontakt zu Benu aus Nigeria, dem sie auch mehr Einblicke in ihr wirkliches Leben gibt. Juno bewegt sich zwischen Care Arbeit, Existenzsicherung, Kunst und Social Media
– ein Tanz auf dem Drahtseil ohne Netz und doppelten Boden.
Lebensklug, unterhaltsam und mit vielen Metaphern erzählt Martina Hefter von Alltagsflucht und Selbsttäuschung, Wünschen und Sehnsüchten, Einsamkeit und Liebe und lässt den Roman in seiner Vielschichtigkeit zu einem ganz besonderen Leseerlebnis werden!
Was für eine Frau war Magda Goebbels?
Reichskanzlerplatz
Davon erzählt Nora Bossongs eindrucksvoller Roman Reichskanzlerplatz (Suhrkamp Verlag):
Der fiktive Ich-Erzähler Hans Kesselbach, der sich in der Schule mit Hellmut Quandt anfreundet, lernt in den 20er-Jahren dessen Stiefmutter Magda kennen und ist fasziniert von der verführerischen Frau. Hans, der sich nicht zu seiner Homosexualität bekennen kann, beginnt eine Affäre mit Magda, die sich mit ihrem Ehemann zunehmend langweilt. Doch dann lernt Magda Joseph Goebbels kennen, begeistert sich für den aufstrebenden Politiker und die Ideen des Nationalsozialismus und sieht für sich die große Chance, Macht und Ansehen zu bekommen. Als Günther Quandt Magda als Ehebrecherin entlarvt und sich von ihr trennt, heiratet sie Goebbels, gründet mit ihm eine Familie und lässt sich als „First Lady“ des deutschen Reichs feiern. Für Hans Kesselbach dagegen wird die Luft zunehmend dünner, denn seine Homosexualität darf zu dieser Zeit auf keinen Fall publik werden …
Mit Parallelen zur heutigen Zeit zeigt Nora Bossong eindrücklich, wie schleichend Demokratie von faschistischen Strömungen unterwandert wird, wie Menschen manipuliert und geblendet werden und welche fatalen Folgen Machthunger und Geltungssucht haben können. Der Figur von Magda Goebbels in all ihrer Widersprüchlichkeit den naiv wirkenden Hans mit seinen verborgenden Sehnsüchten entgegenzusetzen, verleiht dem Roman eine weitere Ebene, die zeigt, welchen Auswirkungen, fehlende Verantwortung, Machtmissbrauch und kollektives Schweigen haben können. Ein historischer Roman für das Hier und Heute!
Unter dem Motto „Verwurzelt in der Zukunft“ präsentiert sich dieses Jahr Italien als Gastland der Frankfurter Buchmesse. Aus diesem Grund erscheinen gerade überproportional viele Bücher aus Italien und ich habe ein paar lesenswerte Romane, die in „Bella Italia“ spielen, herausgesucht:
Malnata
Eines meiner Lieblingsbücher des Jahres ist Malnata von Beatrice Salvioni (Penguin Verlag; übersetzt von Anja Nattefort), das 1935 in der Lombardei spielt: Malnata heißt die „Unheilbringende“ und die junge Maddalena ist im Dorf als Hexe, vor der man sich fürchten muss, verschrien. Als Francesca, Tochter aus „gutem Haus“, Maddalena zum ersten Mal begegnet, ist sie fasziniert von der Kraft, dem Eigensinn und Freiheitswillen des barfüßigen Mädchens. Trotz dem Verbot ihrer Mutter trifft sich Francesca heimlich am Fluss mit Maddalena und es entsteht eine tiefe Freundschaft. Maddalena verleiht ihr Mut und Selbstvertrauen und durch den Zusammenhalt können sie auch in schwierigen Situationen bestehen.
In einer Zeit, in der Frauen in erster Linie für Heim und Familie zuständig waren, zeigen zwei Mädchen auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden wie man sich wehren, aufrichtig bleiben und den eigenen Weg gehen kann:
„Eine erwachsene Frau zu sein, bedeutete, einem Mann, wenn er sagte: Du gehörst mir, in die Augen zu sehen und ihm zu antworten: ich gehöre niemandem.“
Zwei beeindruckende Heldinnen, eine feministische Botschaft und die poetische, kraftvolle Sprache machen den Roman zu einer unvergesslichen Perle!
Der Morgen gehört uns
Der Morgen gehört uns von Davide Coppo (Kjona Verlag; übersetzt von Jan Schönherr) spielt Anfang 2000 in Italien:
Ettore lebt mit seinen Eltern in der Nähe von Mailand und fühlt sich meist unverstanden, ungeliebt, nicht gesehen und nur zu seiner Großmutter Elsa hat er einen besonderen Draht. Freundschaften, Verabredungen, erste Liebe - mit all dem, was in der Pubertät so wichtig ist, scheint Ettore nicht klarzukommen. Erst als er den charismatischen Giulio kennenlernt, sieht er Licht am Ende des Tunnels und die faschistische Jugendorganisation „Federazione“ gibt ihm Halt und wird für ihn zur zweiten Familie. Die gemeinsamen Demonstrationen und politischen Treffen bedeuten dem jungen Mann alles, endlich scheint sein Leben Sinn zu haben. Der braune Sumpf verschlingt ihn zusehends und erste Erfahrungen mit Gewalt geben ihm Sicherheit und stacheln ihn an: Ettore glaubt sich auf dem richtigen Weg und wird dabei immer radikaler …
Welche Faszination übt rechtes Gedankengut und faschistische Ideologien auf junge Menschen aus? Warum werden rechte Parteien von ihnen gewählt? Welche Aufgaben kommen dabei auf uns zu und wo müssen wir tätig werden, um das zu verhindern? Wo müssen wir genauer hinhören, hinsehen und Farbe bekennen? Ein nachhaltiger Gesellschaftsroman, der versucht, Erklärungen zu finden, aufzuklären und Demokratie als wichtigstes politisches Gut zu bewahren, und ein Buch, das ich mir auch sehr gut als Schullektüre vorstellen könnte!
Café Royal
Zum Schluss noch etwas leichtere Lektüre aus Italien: Marco Balzano lädt uns mit 18 Miniaturen ins Café Royal (Diogenes Verlag; übersetzt von Peter Klöss) nach Mailand ein und erzählt von der Via Marghera und ihren Bewohner:innen im Sommer 2020, die sich nach dem Lockdown nach Normalität und Geselligkeit sehnen. Gabriele verliebt sich in seinen Nachbarn Carlo und kommt auf die absurdesten Ideen, um ihm näher zu kommen. Noemi und Cristina beobachten im Café ihre Mütter und finden sie mehr als peinlich -niemals möchten sie so werden! Noemis Mutter Serena hingegen beneidet ihre Tochter um ihre Jugend und Schönheit. Betty hadert mit ihren Kindern, die eine Videokamera in ihrer Wohnung installieren, um sie nicht so oft besuchen zu müssen. Luca hat eine Dauer-Affäre mit Veronica, möchte sich aber auf keinen Fall von seiner Frau trennen.
Wie ein farbenfroher Lebens- und Liebesreigen reiht Marco Balzano die kleinen Geschichten, die immer wieder ineinander übergreifen, aneinander und man fühlt sich beim Lesen als Teil der Via Marghera: man teilt die kleinen, großen Sorgen und Emotionen und wird stille Beobachterin eines bunten Lebens, das endlich wieder stattfinden darf. Ein kleines, feines Buch, das man immer wieder zur Hand nehmen kann, um seine sprachliche Finesse und die liebenswerten Charaktere zu genießen!
Wir danken dem Diogenes-Verlag für die Bereitstellung von jeweils 3 Gewinnexemplaren von „Das dritte Leben“ von Daniela Krien und „Café Royal“ von Marco Balzano.
Nun freue ich mich auf die Buchmesse und die Verleihung des Deutschen Buchpreises und bin sehr gespannt, welches Buch in diesem Jahr als bester Roman gefeiert werden wird!
Habt ihr schon einen persönlichen Favoriten? Schreibt es mir gerne in die Kommentare, dann werden wir am 14. Oktober sehen, wer das Rennen macht!
Wir lesen uns!
Eure Buchstaplerin
Kurz in eigener Sache:
Wir sind ganz gespannt, wie euch unser neuer Look hier auf FTF gefällt. Wir denken, dass alles etwas übersichtlicher geworden ist und man schneller zu gesuchten Themen etwas findet. Wir würden uns sehr freuen, wenn ihr uns ein Feed-back dazu dalassen würdet.
Herzliche Grüße
Uli & Sabine
© FTF, Sabine Fuchs und Ulrike Heppel
All rights reserved. Do not use our pictures and content without our permission.
Alle Fotos und Texte sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nicht ohne unsere Einwilligung übernommen und verwendet werden.
Kommentare
Cooler neuer Auftritt
Herzlichen Dank, das freut uns sehr...
"Mein drittes Leben" ist mein persönliches Favorit.
Euer Style ist toll
Liebe Ilona,
das freut uns sehr. Sowohl dein persönlicher Buchfavorit (darüber freut sich ganz sicher Corinne, als Buchpatin) und wir freuen uns sehr über dein Lob. ♥ Uli
Mein Favorit ist „ Das dritte Leben „, wunderbar geschrieben, einntolles Buch!!
Danke liebe Konstanze. ♥ Uli
Good Job 😊
das neue Layout präsentiert eure tollen Inhalte in einem noch besseren Rahmen!
Herzliche Grüße, Brigitte
Liebe Brigitte,
wenn man so viel Arbeit und Herzblut in ein Projekt steckt, ist man über so ein Kompliment einfach nur happy. Danke! ♥ Uli
Sehr gelungen 👍
Liebe Manuela,
ganz lieben Dank dafür. ♥ Uli
Wir freuen uns auf deinen Kommentar