08•05•2018 ••

Mails von Aniko - Teil 2

Einkaufen in England

München, 04.05.2018

Hi Sweetheart - Aniko,

da ich auch nicht länger zum deutschen „Stoffeltum“ gehören möchte, nenne ich dich jetzt auch „Sweetheart“. Deine Geschichte mit der Kaffeebestellung fand ich ja zum Piepen. Ich denke, mir wäre es wahrscheinlich ganz ähnlich gegangen. Ich finde es ja immer ganz erstaunlich, wie schnell sich die Kids in so einer neuen Umgebung zurechtfinden und vor allem integrieren. Hat das dann doch tatsächlich was mit dem Alter zu tun? Werden wir mit steigenden Jahren unflexibler und schwerfälliger und nicht offener und welterfahrener? Ich will jetzt nicht wirklich eine Antwort auf diese Frage. Die Kids machen sich einfach nicht so viel Kopf um Dinge wie wir. Ich bin mal sehr gespannt, wie sich deine Tage in England so weiter entwickelt haben. Ich habe hier im Moment sehr viel um die Ohren und bin jetzt erstmal froh, dass wir einen Feiertag haben. Ich glaube, ich freue mich immer viel mehr auf die Feiertage als der Mori, weil ich sie viel nötiger habe. Ich wünsche dir schöne Tage und freue mich schon sehr auf eine Antwort von dir. 

Lass dich drücken, 

deine Uli-Honey


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... from London ...


London, 08.05.2018

Liebe Uli,

how are you? In eine neue Stadt und mehr noch, in ein neues Land umzuziehen, bedeutet, jeden Tag etwas Neues herauszufinden, bzw. herausfinden zu müssen: Die nächste Tanke zum Beispiel oder ein Supermarkt. Später dann das Kino, den Friseur – hier in England muss ich mir alles neu erobern, und weil ich ja im Hinterland wohne (und nicht wie in Berlin mitten in der Stadt), bin ich dafür auch den ganzen Tag unterwegs – immer vorbei an Golfplätzen und Pferdekoppeln. Immerhin Supermarkt und Tankstelle kenne ich schon und auch über ein englisches Kinoerlebnis kann ich dir berichten.

Die Supermärkte heißen Sainsbury´s, Tesco, Waitrose – ein Klick aufs Handy und sie sprießen wie Pilze auf der Straßenkarte. Jetzt nur noch ins Navigationsgerät eingeben und schon ist die erste Hürde geschafft. Im Laden selbst erwartet mich ein Angebot, so reichhaltig und vielfältig, dass ich Stunden vor den prall gefüllten Regalen verbringe. Es gibt Diätkekse und glutenfreie Lebensmittel, gleich daneben Torte und Törtchen. Es gibt extra Veggie-Ecken und es gibt Hummus!

Hummus fettfrei und fett reduziert, mit extra Öl, mit Koriander, mit Paprika, mit Zitrone, mit karamellisierten Zwiebeln – ich stehe davor und staune. Die orientalische Spezialität ist eines der ältesten Rezepte aus dem Nahen Osten und die Frischetheken hier auf der Insel sind voll davon. Spontan erinnert mich die Fülle an das Werk des australischen Regisseurs Trevor Graham, der vor ein paar Jahren eine Dokumentation über die pürierten Kichererbsen mit dem unglaublichen Titel „Make Hummus not War“ gedreht hat. Was für ein Film!


Make Hummus not war...


Apropos Film. Im Kino war ich also auch schon. Ein sehr schöner englischer Streifen mit dem Titel „Finding your feet“, was so viel heißen soll wie wieder auf den eigenen Beinen zu stehen. Ein romantisches Comedy-Drama, es ist mein erstes Date mit einer neuen Freundin und ich bin viel zu spät losgefahren. Was ich nämlich nicht wusste, dass dieses Kino ungefähr 25 Kilometer (!) entfernt von meinem Zuhause ist.

Als mein Nawi „Ziel erreicht“ flötet, erwartet mich ein riesiges Shoppingcenter inklusive Kinocenter unterm Dach mit vier verschiedenen Auffahrten zum Parkhaus, in drei verschiedenen Farben und auf mehreren Stockwerken. Kurve hier, Schranke da. Ich habe schon im zweiten Stock komplett die Orientierung verloren. Und ich bin immer noch viel zu spät dran für meine Verabredung. Ich also irgendwo Auto abgestellt, in das Center gerannt, Film geguckt, Tränen vergossen (weil dann doch mehr Drama als Comedy) und danach – keinen blassen Schimmer mehr, wo mein Auto parkt.

Die Geschäfte hatten längst geschlossen, die Parkgarage war dunkel und mein Auto stand irgendwo verlassen auf einem Parkdeck. Nicht nur mein Auto fühlte sich in diesem Moment allein und verlassen, ich irrte durch die Stockwerke, einmal rauf und runter auf der grünen, der roten und der gelben Ebene. Als ich endlich von Weitem mein Auto sah und glücklich darauf zurannte, stolperte ich vor Aufregung und schürfte mir das Knie auf – mein ganz eigenes „Finding your feet“-Erlebnis. Ich habe mir jetzt vorgenommen, beim nächsten Berlinbesuch auf jeden Fall ins Kino zu gehen, dort ist es nämlich ganz in meiner Nähe…  

A big hello from England with a plaster on my knee,

deine Aniko


to be continued ...


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