trö•deln
Trödeln ist etwas unglaublich luxuriöses und ... trödeln ist schön. Aber wann hat man denn überhaupt die Zeit zum Trödeln? Und was ist trödeln überhaupt? Ich finde das Wort wundervoll nostalgisch, weil es sofort Bilder in meinem Kopf entstehen lässt. Bilder meiner Kindheit. Denn da, da habe ich oft getrödelt, und als Kind durfte man ja auch noch trödeln. Ich habe einfach Löcher in die Luft geguckt. Ich habe vergessen, was ich eigentlich gerade machen wollte und bin in meinen Gedanken versunken. Und in diesen Gedanken bin ich von einer in die andere Welt gesprungen. Und das waren wunderbare Ausflüge und Reisen.
Gibt es denn dieses Wort „Trödeln“ so in der heutigen Zeit überhaupt noch? Oder anders gefragt: Ist Trödeln zeitgemäß? Und ist Trödeln nicht ein Widerspruch zu all der Selbstoptimierung, die wir uns ständig auferlegen und der wir uns bewusst oder unbewusst unterordnen? Trödeln ist einfach überholt. „Man“ trödelt nicht, oder?
Und dann muss es auch Zeiten geben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.
Astrid Lindgren
Doch! Es gibt Plätze und auch Zeiten, da liebe ich es zu trödeln. Auf dem Fensterbrett in meinem Wohnzimmer zum Beispiel. Vom Fenster schaut man auf ein Museum und auf ein paar große Bäume, die davorstehen. Ich sitze da gerne am frühen Abend mit einer Tasse Tee und schaue hinaus – ohne Ziel und ohne Absicht. Ich beobachte die untergehende Sonne, bis sie ganz hinter den Hausdächern verschwunden ist, weil ich diesen Moment liebe, wenn der Tag sich in die Dämmerung verabschiedet und den Himmel in Farben hüllt, die nur die Natur so malen kann.
Die Bäume und das Haus stehen immer da. Im Frühling beobachte ich das zarte Grün, das sich innerhalb von Tagen und Stunden oft explosionsartig entfaltet. Im Sommer liegen junge Leute auf Decken im Schatten der Bäume und philosophieren über die Bilder im Museum. Und im Herbst verwandeln sich die Blätter zuerst in ein buntes Farbenmeer, bevor sie in ein trockenes Braun übergehen. Schließlich ragen nur noch die starken kahlen Äste in den Himmel, die nun meine Gedanken in das milchige Grau und frühe Winterdunkel aufsteigen lassen. Und am schönsten ist für mich, wenn ganz leise Schneeflocken vom Himmel schweben und sich wie ein schützender Mantel auf die Äste legen.
In diesen Augenblicken springen meine Gedanken erst schnell und dann immer langsamer von einem Thema zum anderen bis irgendwann eine innere Ruhe einkehrt, und ich wirklich nur noch nach draußen schaue und einen Zustand von Ziellosigkeit und Unentschlossenheit erreiche. Eigentlich ein wundervoller Moment – aber dann reißt mich das schlechte Gewissen wieder zurück in die Realität. Darf ich denn so meine Zeit „vertrödeln“?
trö•deln
[trødeln]
UMGANGSSPRACHLICH • OFT ABWERTEND
beim Arbeiten, Tätigsein, Gehen langsam sein, nicht zügig vorankommen, die Zeit verschwenden ...
Aber ... ich trödle nicht, ich beobachte und lerne ...
Laut Duden ist trödeln ein „oft abwertendes“ Wort. Dennoch finde ich, man sollte dem Trödeln mehr Anerkennung schenken. Es geht ja beim Trödeln auch nicht darum, nichts zu tun, sondern es geht vielmehr darum, es nicht immer sofort zu tun. Es geht darum, sich und seinen Gedanken eine Auszeit zu gönnen.
Es gibt sicher unzählige geschichtliche und auch sonstige Ereignisse, die eine ganz andere Wendung genommen hätten, wäre nicht sofort eine Entscheidung gefällt worden und hätte man diese Entscheidung vielleicht nur ein bisschen vertrödelt.
Wir werden heutzutage mit Informationen überschüttet, die permanent Entscheidungen von uns fordern. Oft sind es nur belanglose Dinge, wie Kaufentscheidungen über Geschmacksrichtungen oder Vorlieben beim Konsumieren. Aber wir definieren uns über die schnelle Ausschöpfung all dieser Wahlmöglichkeiten. Wer trödelt, kann eben nicht mithalten.
Aber ist es nicht so, dass es doch sehr dem menschlichen Instinkt entspricht, ungeliebte Dinge aufzuschieben? Und ist es nicht auch so, dass unsere Gedanken und Ideen immer erst dann zur Hochform auflaufen, wenn wir ihnen möglichst viel Freiraum zum Herumschweifen einräumen?
Ich habe das Trödeln aus meiner Kindheit für mich wiederentdeckt und merke, es tut mir unglaublich gut. Neulich habe ich mich dabei erwischt, wie ich mich an einem Samstag im Supermarkt beim Einkaufen völlig vertrödelt habe. Und stellt euch vor, die Erde drehte sich einfach trotzdem weiter ;-)
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