Über den Jojo Effekt in meinem Kopf
Manche Geschichten in unserem Buch haben beim Schreiben so richtig wehgetan. Dazu gehört für Uli die Kolumne “Über den Jojo-Effekt in meinem Kopf". Hier ein Auszug daraus ...
... Das erste Mal, als ich mir meiner vermeintlichen Figurprobleme bewusst – oder sagen wir, auf sie aufmerksam gemacht – wurde, war ich zehn oder elf Jahre alt. Fräulein Bertram war meine Ballettlehrerin und ehemalige Tänzerin, also von Haus aus »Typ superschlank« und total reizend bis zu dem Tag, an dem sie spröde zu mir sagte, meine Oberschenkel würden bei manchen Etüden wohl etwas sehr aneinanderreiben.
Ich solle mal weniger Süßigkeiten essen, meine Battements würden mir dann leichter fallen. Nun fand ich meine Battements bis dahin völlig luftig und leichtfüßig und meine Oberschenkel total normal. Wahrscheinlich waren sie es auch, denn ich war noch nie ein Fan von Süßigkeiten. Außerdem hatte ich auch nie die Ambition geäußert, in den Corps des Bayerischen Nationalballetts aufgenommen oder gar Primaballerina zu werden. Ich hatte bis dahin einfach nur Spaß am Spitzentanz.
Aber bähhhm, da war es nun, dieses Urteil, auf das ich anfangs nur trotzig und dann aber irritiert reagiert habe.
Trotzig, weil ich dachte: »Gut, dann esse ich halt jetzt gar nichts mehr«. Und irritiert, weil ich ab diesem Zeitpunkt damit anfing, jedes Nahrungsmittel kritisch auf seinen Energiegehalt zu überdenken, bevor ich es mir in den Mund schob. Der Beginn einer fast lebenslang andauernden Gewohnheit.
Ich habe oft darüber gegrübelt, was ein so dahingesagter Satz mit einem Kind machen kann. Gerade bei einem jungen, unsicheren, heranwachsenden Mädchen, das erst noch nach seiner Richtung sucht und nach dem Körper, in dem es sein will und sich wohlfühlt. In dieser Zeit der Vorpubertät sind wir so sensibel und empfänglich für jeden Einfluss und Kritik von außen. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten noch gesteigert und zugespitzt. Durch Fernsehshows, Magazine und die sozialen Medien wird das Erreichenwollen eines vermeintlichen Schönheitsbilds unter jungen (und auch älteren) Mädchen und Frauen immer mehr zum Lebensinhalt. Noch nie gab es so viele essgestörte junge Menschen, die sich entweder runterhungern oder nach dem Essen die Seele aus dem Leib kotzen. Gut, als ich elf war, gab es noch keine sozialen Medien, aber eine Ansage der verehrten Ballettlehrerin hatte sicher ähnliche Auswirkungen wie heutzutage ein kritischer Kommentar von Heidi Klum an ihre Mädchen.
Fräulein Bertrams Urteil hat mich für mein Körpergewicht sensibilisiert und ich vermute, es hat in mir eine lebenslange Daueraufgabe losgetreten – die des Strebens nach dem perfekten Körper.
Man stelle sich vor: Hätte ich diese Ballettstunde verpasst, wer weiß, wie mein Leben verlaufen wäre?
Gibt es bei euch auch ein Erlebnis, das euer Körpergefühl einschneidend beeinflusst hat?
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