01•03•2020 ••

Die Buchbotschafterin – Buchtipps # 9

Manja, Buchbotschafterin

So, das Jahr nimmt so langsam Fahrt auf und Manja, unsere Buchbotschafterin, hat wieder zwei tolle Buchtipps für uns. Ein Roman und ein Sachbuch, beides spannend, beides wundervolle Literatur und beide absolut lesenswert. In beiden Erzählungen wird das Leben von so ganz unterschiedlichen Seiten beleuchtet und gibt uns Einblicke in andere Welten.


Viel Spaß beim Entdecken.


„Brüder“ von Jackie Thomae, Hanser Berlin, 2019, 432 Seiten

„Brüder“ erzählt von zwei Männern, Michael, genannt Mick, und Gabriel, die denselben afrikanischen Vater haben, aber nichts voneinander wissen. Sie kommen 1970 in der DDR zur Welt, wo Studenten aus sozialistischen Bruderländern willkommen sind, aber nach dem Examen gleich wieder in die Herkunftsländer zurückgeschickt werden. So auch der Medizin­student Idris. Mick und Gabriel wachsen bei ihren alleinerziehenden Müttern in Berlin bzw. Leipzig auf.

Der Roman beginnt mit Mick, aus dessen Perspektive wir sein intensives, wildes Clubleben im Berlin der 90er-Jahre miterleben. Mick ist ein hübscher Kerl, er passt gut in die bunte Szene, die Frauen lieben ihn, was besonders seine Dauerfreundin Delia schmerzt. Mick lebt in den Tag hinein ohne Plan, Drogengeschäfte verlaufen manchmal äußerst riskant, aber glücks­pilzmäßig kriegt er immer die Kurve. Doch seinen 30. Geburtstag im Jahr 2000 hätte er sich schon anders vorgestellt.

Cut: Wir befinden uns Mitte der 2010er-Jahre in London und lernen Gabriel kennen, bis auf dieselbe Hautfarbe das pure Gegenteil zu seinem Halbbruder. Er ist ein sehr zielstrebiger, erfolgreicher und wohlhabender Stararchitekt. Verheiratet ist er mit Fleur, deren bewegte Vergangenheit auch Thema wird. Zusammen haben sie einen Sohn, Albert. Gabriel ist in einen Shitstorm geraten, weil er eine dunkelhäutige Studentin attackierte, deren Hund ein Häufchen vor seiner Haustür gemacht hatte. Gabriel ist völlig ausgerastet, was gefilmt wurde, und muss sich nun nicht nur einer öffentlichen Anklage stellen, auch seine Ehe gerät darüber in eine heftige Krise. Zum ersten Mal muss sich ausgerechnet er, der sich bisher nur über seinen beruflichen Status definierte, mit Rassismus- und Sexismusvorwürfen ausein­an­dersetzen.

Auch kommt als kurzes „Intermezzo“ der afrikanische Vater der beiden Brüder zu Wort, und schon ist man auf einer Vergangenheitsreise in die DDR der 70er-Jahre aus der Sicht eines Medizinstudenten aus Senegal. Zum turbulenten Romanende nur so viel: Idris versucht, mit seinen Söhnen in Kontakt zu treten.

Jackie Thomae gelingt es durch ihre besondere Erzählweise mit wechselnden Perspektiven Themen wie Zugehörigkeit, dunkle Hautfarbe und Herkunft fast spielerisch einzubetten und eine spannende und stellenweise auch absurd lustige Geschichte zu entwickeln. Auch lesen wir ganz widersprüchliche, weil individuelle Beschreibungen derselben Situation, z.B. einmal aus Sicht des Vaters und dann des Sohnes, oder aus Männer- und dann aus Frauensicht. Besonders der Part über Gabriel, der kein sehr begnadeter Kommunikator ist und wenig Zugang zu seinen Gefühlen hat, bekommt durch die Perspektive seiner Frau Fleur, die ebenfalls ein besonderes Herkunftsthema als Adoptierte hat, eine ganz neue Spiegelung.


Nicht zu unterschätzen ist auch, wie der Zeitgeist in einer Gesellschaft gerade tickt im Umgang mit Außenseitern.


Auch wenn die dunklere Hautfarbe der Brüder oftmals nur eine beiläufige Rolle in deren Lebensgeschichte spielt, gelingt es der Autorin, die Sensibilität dafür zu schärfen, wie man als Nicht-ganz-Weißer wahrgenom­men wird. Da ist wohl auch ihre eigene Lebenserfahrung eingeflossen, sie selbst hat einen afrikanischen Vater und eine deutsche Mutter.

Bei einer Lesung im Münchner Literaturhaus erzählte Jackie Thomae lachend, dass sie einige Jahre zuvor zu ihrem Debütroman „Momente der Klarheit“ von einem Kritiker als „Männer­versteherin“ tituliert wurde, was sie als ein Kompliment verstanden hat.

Vielleicht liegt es also daran, dass man die Hauptfiguren dieses tollen Romans erstmal nicht so schnell vergisst.


 

Auf meinen anderen Februar-Buchtipp bin ich durch ein langes Autoren-Interview in der Süddeutschen Zeitung gestoßen:

„Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“ von Matt Haig, dtv 2016, 303 Seiten

Dieser positive, britisch-lustige Mittvierziger Matt Haig, der in dem Interview über seine psychische Erkrankung Depression spricht, hat mich total beeindruckt.

Als er 24 Jahre alt ist, erfolgreicher Party-Veranstalter auf Ibiza und glücklich verliebt in seine Freundin Andrea, reißt ihn seine erste Panikattacke von den Beinen. Vom aktiven Ertragen dieser heftigen Krankheit erzählt er mit dermaßen trockenem Humor, gepaart mit einer trotzdem aufblitzenden Lebensfreude, die ansteckend wirkt. Unter den Kapitelüber­schriften „Fallen“, „Landen“, „Aufstehen“, „Leben“ und „Sein“ gehen Matt Haigs Gedanken weit über seine Krankheitsgeschichte hinaus. Wie nebenbei berührt er mit seinen typischen knappen, eindringlichen Sätzen auch alle anderen wichtigen Fragen des Lebens.

Er zitiert gerne und häufig seine verschiedenen Lieblingsschriftsteller, so auch Emily Dickinson:


„Dass es nie wiederkehrt, das macht das Leben so süß.“


Auch seine Erfahrung, dass die Literatur einen rettenden Effekt auf ihn hatte, gefällt mir natürlich:


„Bücher waren allein Grund genug, am Leben zu bleiben.“


Er zeigt uns eine sehr lange, überraschende Liste mit berühmten Menschen, die an Depressionen erkrankt waren oder sind und trotzdem ein erfülltes und auch erfolgreiches Leben haben: von Buzz Aldrin über Stephen King und Robby Williams bis zu Catherine Zeta-Jones. Er sammelt vielfältige Informationen und interessante Fakten zu seinem Leiden, beschreibt, wie sein Umfeld reagiert, manchmal ratlos und verletzend, manchmal verständnisvoll und hilfreich.

Aber am Allerwichtigsten ist für Haig seine Freundin und spätere Ehefrau Andrea. Sie bleibt immer an seiner Seite und hält zu ihm, egal wie krass ein Rückfall wieder zuschlägt:


„Sich zu zwingen, die Welt durch die Augen der Liebe zu sehen, kann gesund sein. Liebe ist eine Einstellung zum Leben. Sie kann uns retten.“


Mit der Lektüre dieses Buches begibt man sich also nicht nur auf eine Reise in die Finsternis einer schlimmen, unsichtbaren Krankheit, sondern nimmt auch teil an einer ganz besonderen Feier des Lebens. Und das macht dieses Buch so lesenswert – wirklich für jeden.

Wieder zwei wundervolle Buchtipps von Manja an uns alle. Was wird denn euer nächstes Buch? Wir sind gespannt. Oder habt ihr eine Anregung, wozu ihr gerne mal einen Rat von unserer Buchbotschafterin haben wollt? Dann her damit ;-)

Kommentare

Christa Lassen
01•03•2020
Einen wunderschönen ersten März wünsche ich der Buchbotschafterin. Vielen Dank für diese spannenden Buchvorstellungen. Ich bin eine Viel-Leserin und freue mich immer über gute Tipps. Beide Bücher werde ich ganz sicher demnächst lesen.
FTF, Uli Heppel
02•03•2020
Hallo liebe Christa, vielen Dank für diese motivierenden Worte. Das freut uns und Manja sehr, wenn wir so wertschätzende Leser haben ;-). Dann viel Spaß beim Lesen. ♡Uli
Manja Wittmann
03•03•2020
danke, das freut mich wirklich sehr, wenn meine empfohlenen Bücher neue Fans finden...
FTF, Uli Heppel
05•03•2020
Liebe Manja, das freut uns noch mehr, weil wir finden, dass du uns immer so großartige Tipps gibst. Darüber sind wir mega-glücklich. ♡Uli
Barbara
11•03•2020
"Brüder" als Hörbuch - was für ein Geschenk! Ein Juwel... Was für eine Sprachkunst, Wortgewandtheit.... herrlich!! Vielen Dank für den Tipp, liebe Manja.
FTF, Uli Heppel
12•03•2020
Liebe Barbara, wie schön, dass wir und Manja dir diesen "Hörschmaus" liefern konnten. ♡Uli

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