FTF Die Buchstaplerin #37 – Mein August in Büchern
„Ich sauge den Sommer in mich ein. Ich sammle mir einen großen Sommerklumpen zusammen und von dem werde ich leben, wenn es nicht mehr Sommer ist.“ „Ronja Räubertochter“ von Astrid Lindgren
Seit vielen Jahren verbringe ich den August nicht in einem anderen Land, sondern genieße den Sommer zuhause und sammle mir einen riesigen Sommerklumpen – es ist einfach herrlich! Der Sommer zeigt sich von seiner schönsten Seite: Man kann radeln, wandern und schwimmen gehen, im Freundeskreis entspannte Abende verbringen, die Früchte im eigenen Garten ernten und in wunderbaren Geschichten stundenlang versinken.
Hier kommen meine Buchtipps für den Spätsommer:
Ein absolutes Lesehighlight war dabei für mich Und dahinter das Meer von Laura Spence-Ash (Mare Verlag; übersetzt von Claudia Feldmann): 1940 wird die elfjährige Bea zu ihrem Schutz vor den Bomben über London mit dem Schiff zu einer Gastfamilie nach Boston geschickt – keine einfache Entscheidung für ihre Eltern, aber das Wohl ihres einzigen Kindes steht für sie an erster Stelle. Bea hat großes Glück, denn die fremde Familie nimmt sie herzlich auf und schon bald fühlt sie sich eng verbunden mit den Gregorys, zu deren Söhnen William und Gerald sie eine besonders enge Beziehung aufbaut. Die Ferien im Sommerhaus in Maine bleiben für sie unvergesslich und so kehrt sie nach fünf Jahren schweren Herzens nach London zurück. So viel hat sich in England in der Zwischenzeit verändert und Bea sehnt sich immer wieder zurück zu ihrer anderen Familie jenseits des Meeres …
Über Jahrzehnte begleitet man zwei Familien auf unterschiedlichen Kontinenten und erlebt mit ihnen die Grauen des Krieges und die Leichtigkeit des Sommers, Freundschaft und Liebe, Abschied und Neuanfang, Trauer und Glück.
Mit den liebevoll gezeichneten Charakteren schwebt man durch die Seiten und man wünscht sich, dass die Geschichte nicht zu Ende gehen möge – ein intensives, unvergessliches Leseerlebnis!
Wir freuen uns sehr, dass wir drei Exemplare von „Und dahinter das Meer“ auf Instagram verlosen dürfen – ein herzliches Dankeschön an den Mare Verlag.
Ein berührendes Buch über die Kraft von Freundschaft und die unangenehmen Seiten des Erwachsenwerdens
hat Petra Pellini mit Der Bademeister ohne Himmel (Rowohlt Kindler Verlag) geschrieben:
Immer wieder denkt die 15-jährige Linda darüber nach, nicht mehr leben zu wollen, aber zum Glück gibt es ihren besten Freund Kevin, ihren demenzkranken Nachbarn Hubert, der früher als Bademeister gearbeitet hat, und dessen Pflegerin Ewa, die ein riesengroßes Herz hat und sich Linda annimmt. Um Ewa etwas zu entlasten, kümmert sich Linda dreimal die Woche um Hubert, indem sie mit ihm spazieren geht, ihm vorliest oder ihm aus ihrem Leben erzählt und es entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden. Linda, die selbst immer wieder aus der Realität flüchten möchte, setzt alles daran, Huberts Erinnerungen wachzuhalten und ihn nicht zu verlieren. Beide kommen mit ihrem momentanen Leben nicht klar, beiden fehlt Orientierung, Sicherheit und Halt und gerade deswegen stützen und bereichern sie sich gegenseitig.
Trotz der bedrückenden Thematik erzählt Petra Pellini federleicht, humorvoll und immer empathisch von einer sehr besonderen Freundschaft und über die kleinen, magischen Glücksmomente, die das Leben bereichern – auch in schwierigen Zeiten!
„Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel Garcia Marquez war mein Einstieg in die Welt der großen Literatur
und bis heute gehört der kolumbianische Nobelpreisträger zu meinen wichtigsten und liebsten Schriftstellern. 2014 verstorben ist nun aus dem Nachlass die bisher unveröffentlichte Geschichte Wir sehen uns im August (Kiepenheuer & Witsch Verlag; übersetzt von Dagmar Ploetz) erschienen und erzählt von der Lehrerin Ana Magdalena Bach, die jedes Jahr zum Todestag ihrer Mutter zu deren Grab auf eine Karibikinsel fährt und in einem ortsansässigen Hotel übernachtet. Als sie zum ersten Mal dort eine Nacht mit einem Fremden verbringt, entdeckt Ana die glückselig machenden Höhepunkte körperlicher Liebe. Von nun an schenkt sie sich nach 27 Jahren Ehe und zwei erwachsenen Kindern jedes Jahr zum 16. August eine Liebesnacht mit verschiedenen Liebhabern und lernt dabei die unterschiedlichsten Männer kennen: vom Heiratsschwindler bis zum Bischof ist alles dabei! Doch wie vereinbart sie diese amourösen Abenteuer auf der Insel mit ihrem Alltag auf dem Festland? Mit der Figur der Ana Magdalena Bach hat der Autor eine Frau erschaffen, die sich trotz aller gesellschaftlichen Normen ihre kleine Insel der Freiheit gönnt.
Bereits dement konnte Gabriel García Márquez seinem letzten Werk nicht mehr den perfekten Schliff verpassen und trotzdem ist es ein Vergnügen, nochmals in seine große Fabulierkunst abtauchen zu dürfen und in einer kleinen, feinen Geschichte die Größe seines literarischen Könnens zu spüren. Weltliteratur zum Reinschnuppern!
Die Sache mit Rachel von Caroline O`Donoghue (Kiepenheuer & Witsch Verlag; übersetzt von Christian Lux) ist ein Buch, das mich überrascht hat. Der Klappentext des Romans hat mich wenig angesprochen, aber das Cover und einige begeisterte Stimmen ließen mich dann doch dazu greifen – und was soll ich sagen? Von den ersten Seiten an war ich mitten in der Geschichte mit ihrem liebenswerten Personal und einem modernen, spritzigen Plot: witzig-kluge Unterhaltung wie ich sie mag!!
Rachel ist Anfang 20, Studentin und jobbt in einem Buchladen, wo sie James kennenlernt – es ist Freundschaft auf den ersten Blick! Die beiden verbringen viel Zeit miteinander, verstehen sich ohne Wenn und Aber und ziehen auch bald in einer WG zusammen. Um ihren Traummann, Literaturprofessor Dr. Fred Byrne, zu erobern, organisiert Rachel mit James heimlich eine Lesung für Byrnes neues Buch, doch der Plan geht in die verkehrte Richtung, als sich der verheiratete Fred Byrne ausgerechnet in James verliebt. Das Leben der drei gerät immer mehr durcheinander und als dann noch Byrnes Frau Deenie und Rachels Lover Carey dazukommen, wird der Liebesreigen immer unüberschaubarer …
Das Buch, das im Irland der1990-er Jahre mit Finanzkrise, hoher Arbeitslosigkeit, Rezession und homophoben Moralvorstellungen spielt, ist zum einen eine liebevoll warmherzig erzählte Freundschaftsgeschichte und gleichzeitig auch ein wundervoller Coming of Age-Roman voller verrückter Ideen und Emotionen zwischen Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt – sofort verfilmbar als Netflix-Serie mit Suchtfaktor!
Der August war auch geprägt von den wunderbaren olympischen Spielen in Paris ...
Zwei Wochen lang war ich begeistert von der traumhaften Kulisse, der friedlichen Atmosphäre und von all den unterschiedlichen Athletinnen und Athleten, den großartigen Wettkämpfen und den vielen Momenten voller Emotionen. Besondere Geschichten der olympischen Sommerspiele von der Antike bis zur Neuzeit erzählen die Ukrainerinnen Iryna Taranenko & Marija Worobjowa in ihrem großformatigen Bilderbuch Olympia! (Moritz Verlag; übersetzt von Annegret Becker), wunderschön illustriert von Marta Leschak & Anna Plotka, die mit ihrer modernen Bildsprache die Hintergrundinformationen gekonnt in Szene setzen.
Es geht nicht nur um Rekorde und Medaillenspiegel, sondern um die Menschen dahinter und um das gesellschaftspolitische Umfeld. Auch Boykotte, Doping und politische Machtspiele werden neben skurrilen Sportarten, überraschenden Sieger:innen und witzigen Randgeschichten thematisiert und so bekommt man hier einen umfangreichen Blick hinter den olympischen Vorhang – ein großer Schatz nicht nur für Sportbegeisterte!
Der Sommer lädt mit seiner Fülle an wunderbarem Obst und Gemüse zum Kochen und Genießen ein.
Doch bei 28 Grad im Schatten ändern sich die Voraussetzungen für eine glücklich machende Mahlzeit: Das Kochbuch Hitzefrei von Agnes Prus und Yelda Yilmaz (DuMont-Buchverlag) versammelt vegetarische Gerichte für heiße Tage und schon allein beim Durchblättern bekommt man Sommergefühle! Ein buntes Potpourri von Wassermelonen, Pfirsichen, Zitronen, Sauerkirschen, Avocado, Auberginen, Tomaten und Zucchini verwandelt sich in kühlende Suppen, knackige Salate, erfrischendes Eis und kleine Sommergerichte, die schnell zubereitet sind. Welche Zutaten und Gerichte wirken kühlend? Was ist schweißtreibend und daher bei Hitze sinnvoll? Was bringt erhitzte Gemüter sonst noch runter? Und was können wir von mediterranen Ländern lernen? All diese Fragen werden hier beantwortet und die ausgewogenen, leichten Gerichte lassen uns den Sommer noch mehr genießen!!
Doch auch der Herbst streckt bereits seine Fühler aus,
die Tage werden kürzer und man bekommt dann auch wieder Lust auf traditionelle, handfeste Gerichte – dass das auch ohne Fleisch bestens gelingen kann, zeigt Anne-Katrin Weber in ihrem gerade neu erschienenen Kochbuch Deftig vegetarisch Heimatküche (Becker Joest Volk Verlag; Fotos von Wolfgang Schardt). Die Lieblingsgerichte unserer Kindheit, die wir mit Heimat verbinden, wie Maultaschen, Buletten, Königsberger Klopse, Gulasch oder Eintopf, lassen sich auch vegetarisch interpretieren und aus heimischen Zutaten lässt sich Seelenfutter vom Feinsten zubereiten: Flammkuchen mit Birne, Älplermagronen, Grünkohleintopf mit Graupen, Wirsingwickel, Linsen-Maultaschen oder Labskaus mit Spiegelei machen glücklich und zufrieden und man schmeckt die Nostalgie im Gaumen auch ohne Fisch oder Fleisch. Anne-Katrin Weber hat Klassiker entstaubt und entfettet und überrascht mit einer neuen Art der Heimatküche, die nichts vermissen lässt. Das perfekte Kochbuch für alle, die sich vorgenommen haben, weniger oder gar kein mehr Fleisch zu essen!!
Ein weiteres, sehr wichtiges Thema im August war für mich der diesjährige Deutsche Buchpreis, der am 14. Oktober in Frankfurt verliehen wird.
Was es damit auf sich hat, erzähle ich euch in meiner nächsten Buchkolumne, deren Schwerpunkt dann auf der Frankfurter Buchmesse liegen wird.
Doch nun genießt noch den Spätsommer und lasst es euch gut gehen!
Wir lesen uns!
Eure Buchstaplerin
© FTF, Sabine Fuchs und Ulrike Heppel
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