09•06•2023 ••

Mit Fisch das Klima retten?

Heute ist der Welttag der Ozeane. Viele von uns haben ein besseres Gefühl, Fisch zu essen im Vergleich zu Fleisch. Warum Überfischung nicht nur ein Artenvielfaltthema ist, sondern auch unser Klima betrifft, und welchen Fisch wir mit besserem Gewissen essen können, darüber schreibt Katarina Schickling von „Mein Konsumkompass" hier:

Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Vegetarier:innen auf Fleisch verzichten, weil sie nicht Teil der Tötungskette sein wollen, Fisch aber trotzdem essen. Fisch gilt vielen im Vergleich zu Fleisch als die gesündere, ethischere, irgendwie bessere Art, sich mit tierischem Eiweiß zu versorgen.


Möglicherweise haben Hering, Lachs und Co einfach das Pech, dass ihr Kuschelfaktor nicht so hoch ist, wie der eines wolligen Kälbchens.


Nun hat ein Forschungsteam aus Schweden, Kanada und den Niederlanden eine Studie erstellt, wonach Fisch nicht nur besonders gesund sei, sondern zudem ein wichtiger Beitrag zu einer klimafreundlichen Ernährung. Ich war etwas überrascht, als ich das las – meine bisherigen Recherchen hatten eigentlich immer ergeben, dass es kaum einen Fisch gibt, der nicht hoffnungslos überfischt ist. Vielleicht kein Zufall, dass ein Autor vom Aquaculture Stewardship Council kommt – das ist eine Organisation, die Aquakulturen zertifiziert. Und dummerweise spielt das Thema Überfischung in dieser Studie gar keine Rolle: Irgendwo im Text wird lapidar erklärt, das sei nicht Gegenstand der Untersuchung. Das ist ungefähr so, als ob man bei der Bewertung von Verkehrsmitteln nur die Ökobilanz der Herstellung heranzieht und die Emissionen nicht mitbetrachtet.


Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten ist der Trend zum Fisch eine Katastrophe.


2020 haben wir in Deutschland 14,1 Kilogramm Fisch pro Kopf und Jahr gegessen, mehr als fünfmal so viel wie unsere Vorfahren 1850. Damit liegen wir zwar immer noch unter dem Schnitt der Weltbevölkerung, da sind es über 20 Kilogramm pro Kopf im Jahr, aber so oder so ist das eindeutig zu viel. Seit 2016 ermitteln Tierschützer jedes Jahr den „End-of-Fish-Day“ – das ist der Tag, an dem wir rechnerisch alles an See-, Fluss- und Meeresgetier verzehrt haben, was in einem Jahr in unseren heimischen Gewässern gefangen wird. 2022 fiel der End-of-Fish-Day in Deutschland auf den 11. März, im Jahr davor war es noch der 17. März. Wir betreiben also enormen Raubbau zu Lasten anderer Regionen der Welt, wo Fisch aufgrund von geographischen oder klimatischen Gründen die naheliegendere Eiweißquelle ist, als bei uns.

Fish for Future? Lieber nicht!

Es gibt kaum eine Fischart, die nicht in ihrem Bestand gefährdet ist. Und auch hier haben wir wieder ein Kennzeichnungsproblem: Bei Wildfisch habe ich beim Einkaufen kaum eine Chance herauszufinden, ob der Kauf meiner Dorade die Existenz eines lokalen Fischers in Gambia sichert oder ob ich die Arbeit internationaler Großtrawler unterstütze, die vor Afrikas Küsten die Gewässer leerfischen, weil unsere Fischgründe längst erschöpft sind. Ein einziger Fischtrawler kann auf einer Fahrt so viele Fische fangen wie 7000 afrikanische Kleinfischer mit ihren Booten während eines ganzen Jahres. Das ist besonders klimaschädlich, weil Fisch, anders als Kühe oder Ziegen, durch seine pure Existenz gut fürs Klima ist.


Eine Studie der US-amerikanischen Rutgers University hat im Februar 2021 gezeigt, dass Fische jährlich 1,65 Milliarden CO2 aus der Atmosphäre holen und binden – das ist mehr als die doppelte Menge, die Deutschland 2021 emittiert hat.


Die Fische tun das einfach dadurch, dass sie in der Nähe der Oberfläche fressen und atmen. Dabei binden sie das CO2 aus der Luft, geben den Sauerstoff wieder ab und scheiden den Kohlenstoff mit ihrem Kot aus – der sinkt dann ab, auf den Meeresboden. Es wäre also gut fürs Klima, wenn möglichst viele Fische in unseren Meeren unterwegs sind.

Ein Grund, warum der Verzehr von Fisch irgendwie weniger böse wirkt als der von Fleisch, hat natürlich mit seiner Herkunft zu tun: Vor unserem inneren Auge sehen wir Fischschwärme in sonnendurchfluteten Gewässern, Lachse, die wilde Bäche stromaufwärts schwimmen … ein schönes Tierleben, das irgendwann an einer Angel oder in einem Fischernetz endet, aber bis dahin wild und frei war. In Wahrheit jedoch stammt mittlerweile fast die Hälfte des verzehrten Fischs weltweit, laut Zahlen der Welternährungsorganisation FAO, aus Aquakultur. Jetzt könnte man das zumindest gut finden – wenn dadurch weniger Wildfische gefangen würden, wäre das ja hilfreich. Unglücklicherweise sind die meisten Fischarten in Zuchtbetrieben Raubfische. Und die fressen … richtig, andere Fische! Ein großer Teil des Wildfangs heute landet deshalb gar nicht auf unseren Tellern, sondern in Fischmehlfabriken, die Futtermittel für Aquakulturfarmen herstellen.


Die Fischfarmen lösen das Problem also nicht, sie verlagern es nur. Und schaffen neue Missstände …


Das Lachs-Problem

Lachs war in meiner Kindheit etwas besonders Feines, ein Festessen für hohe Feiertage.


Heute ist Lachs sozusagen das Schwein der Fischindustrie:


massenhaft erzeugt, unter fragwürdigen Bedingungen. Ich kann in diesem Zusammenhang den tollen Film meines Kollegen und Nachhaltigkeitsmitstreiters Hannes Jaenicke über Lachsfarmen wärmstens empfehlen. Danach findet man den einst so edlen Fisch gar nicht mehr fein … Die Zustände beim Lachs stehen für die generellen Probleme jeglicher Aquakulturen: Tiere, die sonst die Weite der Meere durchstreifen, werden auf engstem Raum zusammengepfercht. Das macht sie krank – sie bekommen also Antibiotika. Kot und Futterreste verschmutzen das umliegende Meer. Die Tiere werden auf Turbowachstum und gute Futterverwertung hingezüchtet. Ausbrechende Zuchtfische mischen sich mit den Wildpopulationen und beeinträchtigen die natürliche Genetik. Das Ökosystem Meer wird an vielen Stellen empfindlich gestört. Die rasant wachsende Aquakultur-Branche neigt dazu, schon die Abwesenheit von Erkrankungen als Beleg für gutes Tierwohl zu interpretieren. Hauptsache, die Fische fressen und wachsen. Unterm Strich muss man leider sagen, dass diese Art der Fischerzeugung kaum nachhaltiger ist als das systematische Leerfischen von Wildbeständen.

Es gibt viele Ansätze, die schlimmsten Auswüchse einzudämmen: mobile Gehege, damit wenigstens nicht immer die gleiche Stelle Meeresboden verschmutzt wird. Veganes Futter für die Raubfische. Mehr Platz. In der ökologischen Aquakultur versucht man, Fischmehl aus Wildfang durch Abfälle etwa aus der Filetierung zu ersetzen. Aber das ändert wenig an der grundsätzlichen Problematik:


Wir müssen – wie beim Fleisch – weg von der Übernutzung.


Von der Delikatesse zum Pizzabelag


Wir sollten immer misstrauisch sein, wenn etwas plötzlich besonders billig wird. Garnelen, zum Beispiel.


Die gravierendsten Umweltprobleme im Bereich der Aquakultur herrschen dort, wo Garnelen gezüchtet werden: in Asien und in Lateinamerika. Für Garnelen-Zuchtfarmen werden großflächig Mangrovenwälder gerodet, wichtige Ökosysteme an den Meeresküsten, etwa auf den Philippinen, in Vietnam, Thailand, Bangladesch oder Ecuador. Irgendwann sind die Becken dann mit Abfällen, Exkrementen und Arzneimittelrückständen so stark verseucht, dass die Standorte aufgegeben werden, dann sind die nächsten Mangrovenwälder dran. Das ist nicht nur für die Feuchtgebiete entlang der Küsten fatal, sondern oft auch für die Bevölkerung, die von den Shrimps-Konzernen vertrieben wird.

Und dann wäre da noch der Thunfisch …

Dass dessen Fang negative Folgen für die Ökosysteme hat, ist schon lange bekannt: Seit den 1990er-Jahren prangen „delfinfreundlich gefangen-Siegel“ auf Thunfischdosen. Der Beifang von Delfinen ist in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich zurückgegangen, dafür landen jetzt Schwertfische, Rochen und vom Aussterben bedrohte Meeresschildkröten in den großen Netzen, angelockt von Lockbojen, die Fischschwärme anziehen. So gefangene Thunfische werden dann mit „Dolphin-Safe“-Siegel vermarktet. Stimmt – aber umweltverträglich ist diese Fischerei trotzdem nicht. Nun ist Thunfisch mittlerweile derart überfischt, dass es fast schon egal ist, was da noch so im Netz landet und ob Delfine dabei waren. Thunfisch sollte ganz grundsätzlich selten bis gar nicht auf den Tisch kommen, bis sich vielleicht eines schönen Tages die Bestände erholt haben. Bei Thunfisch ist die Fischfarm keine Alternative: Dafür werden wild gefangene Thunfische eingefangen und langsam zum Standort der Mastanlage geschleppt. Etwa 15 Prozent der eingefangenen Thunfische überleben diese Prozedur nicht. Bei Thunfisch ist zudem das Verhältnis zwischen Ertrag und Fütterung besonders extrem: Bis der Raubfisch in der Farm seine 150 Kilogramm Schlachtgewicht erreicht, hat er etwa das einhundertfache an Fischmehl gefuttert.

Ein besonders problematischer Fisch, den kaum jemand als Problem auf dem Schirm hat, ist übrigens der Tintenfisch.

Aktuell werden die so genannten Oktopoden vor allem mit Grundschleppnetzen gefangen. Die zerstören den Meeresboden und sorgen für relativ großen Beifang. Alle Fangmethoden sind für Oktopusse schmerzhaft – aufgrund ihrer weichen Haut sind die sehr verletzungsanfällig. Weil die Nachfrage weltweit wächst, will man die Tiere in Spanien ab 2023 in Aquakultur produzieren. Die wenigen Studien, die es über Oktoden gibt, belegen allerdings, dass sie in Gefangenschaft nicht artgerecht gehalten werden können. Als Einzelgänger ist ein enges Becken für sie besonders großer Stress, und auch sie sind Fleischfresser und benötigen das Zwei- bis Dreifache ihres Körpergewichts an Futter – pro Tag! Ein weiterer Fisch, der im Grunde gar nicht auf unsere Teller kommen sollte.

Der gute Fisch


Ernährung ist immer dann nachhaltig, wenn sie möglichst regional und ressourcenschonend funktioniert.


Für westafrikanische Küstenbewohner ist Meeresfisch aus Westafrika eine sinnvolle Art, tierische Proteine zu essen. Für eine Frankfurter Familie eher nicht. Also wenigstens Fisch aus Europa? Die europäischen Meere sind leider besonders gründlich überfischt, allen voran das Mittelmeer und das Schwarze Meer. Wenn wir unseren Speiseplan mit Fisch ergänzen wollen, dann sollten wir die Art Fisch essen, die in der Familie meines Großvaters gelegentlich auf den Tisch gekommen wäre: aus klassischer Teichwirtschaft in der Nachbarschaft.


Fischzucht in Teichen und Durchflussanlagen ist laut einer Studie des Ökoinstituts Freiburg eine tragfähige Alternative, wenn es unbedingt Fisch sein soll.


Die Teiche passen sich gut in die Landschaft ein, sind als Feuchtgebiete wertvolle ökologische Rückzugsräume für unter Naturschutz stehende Pflanzen und Tiere – geradezu Hotspots der Biodiversität. Die Fische kommen in extensiver Haltung meist ohne Zufütterung aus, selbst Raubfische wie der Hecht brauchen dort kein Fischmehl. Und sie lassen sich regional und saisonal vermarkten …

Stadtfisch als Zukunftsvision

Kurze Wege sind immer gut für die Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft auch. Das würde auf den ersten Blick für Aquaponik sprechen. Bei diesem System werden Fisch und Gemüse in einem geschlossenen System erzeugt, möglichst nah an der Kundschaft. Die Pflanzen profitieren von den Stickstoff-Ausscheidungen der Fische, die Fische schwimmen im gereinigten Gießwasser der Pflanzen. Im Zweifel passt ein Aquaponiktank auf den Parkplatz eines Supermarktes. In Berlin-Schöneberg vermarktet eine Firma seit einiger Zeit Hauptstadtbarsch und Hauptstadtbasilikum, andere Anbieter kombinieren Süßwasserfisch mit Tomaten. Sogar mit Salzwasserfischen soll das System funktionieren, dann kann man allerdings als Gemüse nur Algen anbauen. Bei München züchtet ein Start-up mit dieser Technologie bayerische Garnelen. Die Lichtenberger „Stadtfarm“ erzeugt in Berlin 50.000 Kilo afrikanischen Raubwels im Jahr. Das klingt auf den ersten Blick nach ganz schön viel Fisch. Doch nach den Mengen der Planetary Health Diet wäre das regionaler Fisch für gerade mal 5.000 Berliner – man bräuchte also ganz schön viele solcher Anlagen.

Was mir daran gut gefällt, ist der Gedanke, Lebensmittel da zu erzeugen, wo die Menschen sie auch essen. Urban farming ist ganz sicher ein gutes Konzept; wenn sich das auch noch mit einer Fischerzeugung kombinieren lässt, ohne Ökosysteme zu belasten, klingt das erst mal gut. Krankheitserreger und Parasiten bleiben draußen, die Wildpopulationen sind vor Durchmischung mit Zuchtfischen, ihren Krankheiten und ihrer mastfreundlichen Genetik geschützt. Die Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat sich die Ökobilanz einer Schweizer Pilotanlage angeschaut und kommt zu dem Schluss:

Der Anbau ist ökobilanztechnisch vielversprechend. Die Nähe zum Konsumenten, der Verzicht auf Dünger, Pestizide und große Maschinen geben dieser Produktionsform Vorteile gegenüber herkömmlichen Verfahren. Ein Problempunkt ist der hohe Stromverbrauch und die benötigte Wärme. Je nach Energiequellen ist die Umweltbelastung plötzlich sehr viel größer.“


Wie schön die Fische es in ihrem Aquaponiktank finden? Schwer zu sagen …


Der Züricher Tierschutzverein Fair-Fish hat Kriterien definiert, die das Leben der Tiere in freier Wildbahn beschreiben, und versucht mit seiner Fishethobase überhaupt erst mal, wissenschaftliche Grundlagen dafür zu schaffen, welcher Fisch welche Bedingungen benötigt. Der Modefisch Tilapia, zum Beispiel, eine Buntbarschart, die besonders häufig in Fischfarmen gehalten wird, legt in Schwärmen weite Strecken zurück. Ob die Tilapias das nur tun, um genug Futter zu finden, oder ob diese Bewegung ein Grundbedürfnis der Barsche ist, ist schlicht nicht erforscht. In Aquaponik-Anlagen gibt es genug Futter, aber weit schwimmen kann man nicht, so wie in allen Zuchtanlagen. Aggressive Individuen können sich zudem nicht zurückziehen. Fair-Fish bewertet die Tilapia-Haltung bei Aquaponik mit 8 von 10 Punkten, bei afrikanischem Wels nur mit 6, Forelle geht in solchen Anlagen gar nicht. Das passt zu meinem Bauchgefühl:


Irgendwie ist mir persönlich die Forelle aus dem Freiluftteich sympathischer …


Wer mehr von Katarina lesen will, geht auf ihren Blog: Mein Konsumkompass

 Katarinas nächster Film läuft am 17. Juni um 17:35 im ZDF in der Reihe plan b zum Thema Lebensmittelverschwendung: Auch hier geht es um Fisch. In Island gibt es tolle Projekte, wo zum Beispiel aus der Haut von Kabeljau innovative Produkte entstehen, die sogar Leben retten können. Darüber hat Katarina hier geschrieben.


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