Schöne Welt – Schlechte Welt
Letztens saß ich am Schreibtisch, war wieder mal auf Instagram unterwegs. Eine Freundin hatte in ihrer Story den Film eines Helden unserer Zeit verlinkt: Ein Mann, der mit seinem Hilfstransporter mutig in die Ukraine gefahren ist, um dort Hilfsgüter zu verteilen und Tiere und Menschen zu retten. Auf fünf Minuten hatte er seine Erlebnisse zusammengeschnitten. Nach diesen fünf Minuten habe ich mich tränenüberströmt am Schreibtisch wiedergefunden, unfähig, noch irgendwelche produktiven Gedanken zu fassen. Dieses Erlebnis lässt mich heute diesen Artikel schreiben, denn vermutlich geht es den meisten von uns im Moment so: Das Leid in der Ukraine zerreißt uns förmlich. Trotzdem stelle ich mir die Frage, wie ich bei all den schlechten Nachrichten in meiner Kraft bleiben kann.
Nur damit mich hier niemand falsch versteht: Natürlich finde ich es richtig und wichtig, dass wir Bilder aus der Ukraine zu sehen bekommen und ich möchte auf gar keinen Fall, dass solche Filme nicht gedreht und gezeigt werden. Die Frage ist nur, wie ich informiert bleiben kann, ohne darüber komplett im Weltschmerz zu versinken.
Und was all diese Bilder, mit denen wir täglich geflutet werden, mit unserer seelischen Gesundheit machen.
Denn nur wenn ich selbst, die ich ja im Moment den Luxus habe, in einem friedlichen Land zu leben, zuversichtlich bleibe, kann ich ja Schwächeren in der Gesellschaft und in diesem Fall Geflohenen helfen. Denn spätestens seit Corona wissen wir alle, wie sehr uns all diese negativen Nachrichten belasten und dass es manchmal einfach nötig ist, sich eine Auszeit zu nehmen.
Die Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel, die zwei Jahre lang in Kabul gelebt hat, hat ein wirklich lesenswertes Buch zu diesem Thema geschrieben: „Wie wir die Welt sehen. Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien.“
Meine wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Buch fasse ich euch hier zusammen:
Fast jede Entscheidung, die wir treffen, hat mit Nachrichten oder mit einer Art, wie Geschichten erzählt werden, zu tun.
Die Nachrichtenkultur, der wir im Moment ausgeliefert sind, ist destruktiv. Nachrichten stellen in der Regel Probleme dar, ohne uns Lösungen anzubieten. Immer noch denken viele Journalist*innen, je größer Leid beschrieben wird, desto mehr Aufmerksamkeit erzeugt die Nachricht. Das Gegenteil ist der Fall: Je drastischer ein Problem beschrieben wird, desto weniger setzen wir uns dafür ein, dass es gelöst wird. Denn dann fühlen wir uns hilflos und haben das Gefühl, einem unveränderlichen Zustand ausgeliefert zu sein. Im Moment erklären die Nachrichten meist nur den Ist-Zustand, nicht wie es sein könnte.
Ein gutes Beispiel ist die Klimakrise: Eigentlich wird immer nur berichtet, was noch immer nicht funktioniert und wie dramatisch, nahezu aussichtslos die Lage ist. Selten wird darüber berichtet, was sich schon verändert hat. Wichtig: Dahinter steht keineswegs irgendeine Art von Verschwörung oder geheime Übereinkunft der Medien, um uns klein zu halten. Dahinter steht vielmehr der Glaube, dass die Leser derart erzählte Geschichten spannender finden und eher animiert sind, weiterzulesen. Für Wurmb-Seibel ist dies ein Irrglaube, der uns abstumpfen lässt und apathisch macht.
Unser Gehirn ist darauf gepolt, sich auf das Negative zu fokussieren.
Wir müssen unser Gehirn austricksen, denn rein evolutionsbedingt ist unser Gehirn darauf gepolt, zuerst einmal das Negative zu sehen. Auf der Suche nach Nahrung waren unsere Vorfahren darauf angewiesen, in einer Schafherde den Wolf zu sehen. Leider erinnern wir uns auch heute noch eher an negative Erlebnisse als an positive. So glaubt auch die Mehrheit der Menschen, dass die Welt immer schlechter wird.
Auf der Seite www.gapminder.org könnt ihr Fragen zur Welt beantworten und euch freuen, dass die Welt vielleicht doch ein bisschen besser ist, als von euch angenommen.
Nachrichten verzerren unser Bild von der Welt.
Manche Länder tauchen in den Nachrichten nur auf, wenn etwas Schlimmes passiert: Naturkatastrophen, Kriege, Unglücke oder Gefahren für Leib und Leben aller Art. Im Fall von Australien beispielsweise besonders beliebt: Horror-Geschichten von gefährlichen Tieren. Für mich war das tatsächlich mit ein Grund, warum ich Australien als Reiseziel nie wirklich im Auge hatte. Denn meine Angst vor giftigen Spinnen ist wirklich grenzenlos …
Welchen Ereignissen, Menschen und Meinungen die Medien Raum geben, bestimmt maßgeblich unser Verständnis davon, was wichtig ist und wer etwas zu sagen hat.
Das Ausmaß, in dem beispielsweise über Querdenker*Innen berichtet wurde, ließ bei uns zeitweise das Gefühl entstehen, dass unsere Gesellschaft verrückt spielt. Dabei waren oder sind die in der Realität doch immer nur eine verschwindend geringe Minderheit, die wir durch ihre Nachrichtenpräsenz überproportional auf unserem Schirm hatten.
Achtsamer Nachrichtenkonsum heißt nicht, sich dem Weltgeschehen zu entziehen, sondern vielmehr sich einer Negativspirale zu entziehen, die langfristig nur zu Apathie führen kann.
Tatsächlich hat der Traumaforscher Dr. Philip Zimbardo im Zusammenhang mit Nachrichtenkonsum einen neuen Begriff geprägt: Die Prätraumatische Belastungsstörung. Er hat nachgewiesen, dass Menschen, die ständig Nachrichten über Terrorismus aufnehmen, sich ähnlich verhalten wie Menschen, die tatsächlich einen Terroranschlag erlebt haben. Dauerndes Nachrichtenfeuer kann also dazu führen, dass wir in eine ähnliche Apathie verfallen können wie tatsächliche Opfer und eine ähnliche psychische Belastung erleben.
Wir sollten uns bewusst machen, dass Nachrichten immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit wiedergeben können. Im Prinzip sind die Nachrichten eines Tages aneinandergereihte Fehlermeldungen aus aller Welt. Und je näher die Welt zusammenrückt, je besser wir vernetzt sind, desto mehr dieser Fehlermeldungen erreichen uns in immer dramatischeren Bildern und genaueren Details. Keine Fehlermeldung kann uns entgehen.
Was würde es wohl mit uns machen, wenn wir jeden Abend alle unsere schlechten Erlebnisse des Tages noch einmal haargenau aufschreiben würden?
Jede*r von uns kann mit seiner Art zu kommunizieren, dazu beitragen, die Welt ein bisschen besser zu machen.
Der Dalai Lama hat einmal davor gewarnt, dass ein zu starker Fokus der Medien auf Tod und Gewalt zu Verzweiflung bei den Menschen führen könne. Aber jede Veränderung beginnt schließlich auch bei uns selbst. Auch in unserem persönlichen Umfeld sollten wir also den Fokus nicht nur auf die Probleme legen, sondern auf die Lösungen. Dabei gibt es kein richtig oder falsch, aber es ist wichtig, nach Lösungen zu suchen. Dabei kann es hilfreich sein, bei Vorbildern oder in der Vergangenheit nachzuforschen. Je mehr wir uns mitteilen, was uns in unserem Leben weitergebracht hat, desto größer ist die Chance, dass auch andere eine Lösung für ihr Problem sehen können.
Another world is not only possible,
she is on her way.
On a quiet day,
I can hear her breathing. Arundhati Roy.
Wer weiterlesen will, hier könnt ihr das Buch von Ronja von Wurmb-Seibel bestellen. Natürlich erhaltet ihr das Buch auch in eurer örtlichen Buchhandlung.
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