30•09•2020 ••

Sind wir eins –30 Jahre Wiedervereinigung?

30 Jahre Deutsche Einheit, 30 Jahre Wiedervereinigung ... Sind wir inzwischen eine Einheit? Wir haben uns mit zwei Frauen unterhalten, die es wissen müssen. Marion Bröhl und Bianca Stäglich haben beide schon lange die Seiten gewechselt ... 


Marion Bröhl, kommt aus dem Westen und lebt im Osten.


Marion, du bist in Westdeutschland geboren, lebst aber seit deinem 23. Lebensjahr im Osten. Was war der Grund für deinen Umzug?
Das stimmt nicht ganz: Ich lebe seit meinem 33. Lebensjahr im Osten. Der Grund war, wie so häufig, beruflicher Natur. Mein Mann hat ein gutes Jobangebot bekommen - und ich bin mitgegangen. Als Freiberuflerin kann ich ja von überall aus arbeiten. Damals war aber sowieso gerade erst unsere Tochter geboren, sodass ich erstmal sehr viel mit ihr und unserem damals dreijährigen Sohn zu tun hatte.

Ich muss aber gestehen, dass ich mich mit dem Thema „Osten“ zunächst schwer getan habe ...


da wir keine Berührungspunkte hatten, also keine DDR-Verwandtschaft oder so. Ich dachte, das machen wir jetzt mal zwei bis drei Jahre und dann schnell wieder zurück in den Westen! Daraus wurden dann 19 Jahre in Weimar und jetzt schon wieder 2 Jahre in Leipzig.

Was hast du am Tag der Wiedervereinigung gemacht?

So ganz genau weiß ich nicht mehr, was ich tagsüber gemacht habe, wahrscheinlich gearbeitet ;-) Aber als die Mauer fiel, haben wir abends quasi nonstop am Fernseher gehangen und uns die Bilder angeschaut, wie die Menschen die Grenzen passierten und in Berlin auf der Mauer standen. Das war schon sehr bewegend und erstmal nicht so ganz zu begreifen.

Hast du dich über die Wiedervereinigung gefreut?

Ja, mit meinem damaligen Abstand, weil ich keinen persönlichen Bezug zur DDR hatte. Ich habe mich für die Menschen „drüben“ gefreut, dass sie jetzt endlich reisen durften und nicht mehr von diesem System unterdrückt wurden. So richtig viel wusste ich ja gar nicht darüber. Erst, als Filme wie „Das Leben der anderen“ ins Kino kamen, bekam man einen ungefähren Eindruck, wie das Leben in der DDR gewesen sein muss.

Für die junge Generation heute ist es ja cool, im Osten zu leben. Zur Zeit deines Umzugs war das ja noch was Besonderes, wenn ein “Wessi“ in den Osten gezogen ist. Wie hast du damals den Osten zu Anfang empfunden?

Ich hatte das Glück, dass wir 1999 nach Weimar gezogen sind, als die Stadt Kulturhauptstadt Europas war. Weimar war ja wohl schon zu DDR-Zeiten eher ein Vorzeigeobjekt, und 1999 war alles wegen des Kulturstadtjahres hübsch saniert und sah aus wie der Westen, nur schöner. Gelebt haben wir zunächst ein bisschen wie in einer Kolonie: Es gab einige Wessis dort, und die haben sich schnell gefunden. Der größte Teil unseres Freundeskreises in den ersten Jahren kam aus den alten Bundesländern - man war ja ähnlich sozialisiert. Das hat sich erst nach etlichen Jahren ein bisschen angeglichen, will sagen, wir hatten erst später so richtig freundschaftliche Verbindungen zu Leuten aus dem Osten.

Gibt es für dich noch kulturelle Unterschiede zwischen Menschen aus West und Ost?

Tatsächlich ja. Ich fand die Menschen im Osten zum Beispiel von Anfang an sehr freundlich ...


- und besonders hilfsbereit!


Zu DDR-Zeiten gab es sicherlich auch einen engeren Zusammenhalt - man hatte ja nichts, also musste man einander helfen. Davon ist auch heute noch viel zu merken. Die kulturellen Unterschiede werden sicher noch mindestens eine Generation lang bestehen bleiben, denke ich. Andererseits: Es gibt ja auch kulturelle Unterschiede zwischen Nord und Süd. Also warum sollten diese Unterschiede irgendwann verschwinden?

Fühlst du dich als Ostdeutsche oder Westdeutsche?

Gute Frage! :-) Vielleicht als Ostdeutsche mit westdeutschem Migrationshintergrund? Man adaptiert ja für sich im Laufe der Jahre das Beste aus beiden Welten.


Um ehrlich zu sein, fühle ich mich eher als Europäerin. Ich könnte mir auch gut vorstellen, nochmal ganz woanders zu leben - vielleicht in den Niederlanden?


Wer mehr von Marion lesen will, geht auf ihren Blog: www.queenmumleipzig.de

 


Bianca Stäglich, kommt aus dem Osten und lebt im Westen.


Bianca, du bist in Ostdeutschland geboren, lebst aber seit deinem 20. Lebensjahr im Westen. Was war der Grund für deinen Umzug?

Es war die Liebe. Nach einer Schneiderlehre habe ich zusätzlich 1991 eine Hotelfachfrau-Lehre begonnen. In den zwei Jahren der Ausbildung habe ich zwei Praktika im Westen absolviert. Nach meinem Abschluss 1993 sollte mein Berufsleben in der Hotelbranche dann in Mannheim beginnen. Doch es kam anders. An einem Wochenende im Juli 1993 habe ich in meiner Stamm-Diskothek zu Hause meinen jetzigen Mann Sven kennengelernt. Er kommt auch aus meiner Heimat, lebte aber damals schon seit 1992 in München. Der Blitz hatte bei mir eingeschlagen.

Da ich in Mannheim, vor dem Kennenlernen, meinen Arbeitsvertrag unterschrieben habe, habe ich natürlich erst einmal meine Stelle angetreten. Nach 2 Wochen war die Sehnsucht einfach zu groß und ich bin mit all meinen Koffern nach München zu Sven umgezogen. Wir wohnten von da an gemeinsam in meinem Personalwohnheim - in einer - wohlgemerkt 28qm großen Wohnung. 1995 sind wir zusammen in München in unsere erste kleine Wohnung gezogen. Und so begann, mit meiner Liebe, mein Leben im Westen. Es kam alles so wie es kam und ich habe es einfach angenommen.


Denn auch zu DDR-Zeiten hatte ich nie den Gedanken, ich muss raus hier. Ich hatte eine tolle Kindheit und ein tolles Leben. ​


Wie sah denn deine Kindheit aus im Osten?

Meine Erziehung war sehr offen und liebevoll, so bin ich ein aufgeschlossener Mensch geworden. Ich hatte ein relativ unbeschwertes Leben. Ich bin in einer kleinen Kreisstadt aufgewachsen und meine Eltern waren ganz normale Arbeiter und waren auch nicht in der Partei. Die Schule war auf dem Dorf und ich hatte dort eine wirklich coole Schulzeit. Klar waren die Lehrer auch politisch unterwegs – das war damals einfach so. Das haben wir so hingenommen und uns angepasst. Ich bin kein Revoluzzer oder die Aufsässige und ich hatte auch keinen Grund dazu, weil es mir einfach gut ging. Und obwohl wir keine Westverwandten hatten, konnten wir uns vieles leisten. Meine Eltern haben mir wirklich alles ermöglicht, was es gab, und was mich glücklich gemacht hat.

 

Wie oft fährst du noch in deine ursprüngliche Heimat?

Leider nicht mehr so oft, doch zwei- bis dreimal schon. In diesem Jahr waren wir bis jetzt zweimal bei der Familie und vielleicht schaffen wir es zum Ende des Jahres nochmal.

 

Hast du dich über die Wiedervereinigung gefreut?

Ich war 17. In diesem Alter weiß man noch gar nicht, was man machen will und wo man hin will. Aber ich denke schon, dass ich mich sehr gefreut habe, denn plötzlich standen ja alle Türen offen. So richtig greifen, fassen und realisieren konnten wir es aber erstmal nicht.
Ich weiß noch, von dem Begrüßungsgeld habe ich mir eine tolle senffarbene Seidenhose und eine Blumenbluse dazu gekauft.

Ich sehe heute allerdings, dass unsere Eltern, die jetzt über 70 sind – zur Wende waren sie in ihren Vierzigern – doch zur Verlierergeneration gehören, während wir in meinem Alter auf der Seite stehen, die sehr viel gewonnen hat. Denn wir hatten die Möglichkeit in die weite Welt hinauszugehen. Alles war auf einmal möglich. 

Traurig war, dass damals Jobs weggebrochen sind, meine Mutter beispielsweise war jahrelang arbeitslos. Zu DDR-Zeiten wurden wir vom Staat an die Hand genommen. Der Staat hat für dich gedacht und alles gemacht.  

 

Gibt es für dich noch kulturelle Unterschiede zwischen Menschen aus West und Ost?

Ich denke, es braucht sicher noch zwei oder drei Generationen, bis diese Barriere, die viele noch im Kopf haben – gerade aus ostdeutscher Sicht – verschwindet. Das ist noch sehr tief verankert. Wenn ich zu Hause bin, höre ich oft, dass Eltern, die in meinem Alter sind und die Wende miterlebt haben, vor ihren Kindern über die "Wessis" sprechen. „Typisch Wessi.“ Damit wachsen Kinder in Ostdeutschland noch mit vielen Vorurteilen auf und damit bleibt die Schranke auch noch im Kopf verankert. Ich finde es traurig, dass es die Begriffe Wessi und Ossi überhaupt noch gibt.

Als ich vor 27 Jahren nach München gekommen bin, hat mich ein Schulfreund aus Sachsen gefragt: „Und wie kommst du zurecht mit den sturen Bayern?“ Ich habe geantwortet: „Wieso sture Bayern?“


Schließlich gibt es genauso sture Sachsen, sture Norddeutsche, sture Sylter, sture Brandenburger, sture Saarländer.


Es ist vom Mensch abhängig und nicht wo wir herkommen.

Umgedreht finde ich es aber auch traurig, dass im Westen oft ein seltsames Bild von „Ossis“ gezeichnet wird. Ich habe vor einigen Jahren eine Reportage über Thüringen im Fernsehen gesehen. Da wurde im tiefsten Land gedreht, natürlich haben da die Menschen sehr traditionell und festgefahren gewirkt. Denn egal ob in Bayern, Thüringen oder NRW, ob ich veränderungsbereit bin oder nicht, hat ja zunächst mal viel mit Bildung und äußeren Einflüssen zu tun. Und am Land haben Menschen oft noch Scheuklappen und wollen sich gar nicht mit anderen Menschen beschäftigen. Da ist es egal, ob du aus Ost-, West-, Süd- oder Norddeutschland kommst.

 

Fühlst du dich heute als Ostdeutsche oder Westdeutsche?

Ich habe mich nie so als Ost- oder Westdeutsche gefühlt. Ich bin Deutsche! Zunächst einmal bin ich ein offener Mensch, ich urteile nicht, ich verurteile nicht, ich schaue hinter die Kulissen, frage nach. Ob schwarz, ob gelb, ob grün – ob westdeutsch, ob ostdeutsch, ob polnisch, ob russisch. Ich habe verschiedenste Freundinnen aus den unterschiedlichsten Regionen und Ländern. Ich liebe es, sich untereinander austauschen zu können. Für mich ist es wichtig, dass der Charakter eines Menschen toll ist, und dass wir einfach eine tolle Zeit haben.


Das Leben ist viel zu kurz, um sich Gedanken zu machen, ob ich jetzt westdeutsch oder ostdeutsch bin. ​Ich bin da eher schwerelos …


Wer mehr von Bianca lesen will, hier ist der Link zu ihrem Blog :) www.stilfrage.net


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Kommentare

Natalie
02•10•2020
Ich groß geworden mit der Grenze, quasi Zonenrandgebietskind. Es gab Luftballonfreundschaften. Früher hat man halt ne Postkarte mit Adresse losgeschickt. Einer landete in Wernigerode und mit Budi schrieb ich lange hin und her Briefe. Bis es hieß, die Grenze ist auf. Ich werde nie vergessen, wie wir sie an der Grenze abgeholt haben. Die Schranke ging auf und sie ist einfach durchmarschiert. Wir haben uns danach noch öfter getroffen, irgendwann ist die Freundschaft im Sande verlaufen. Schade. Ich wüsste gern, wie es ihr heute geht.
FTF, Sabine Fuchs
02•10•2020
Was für eine schöne Geschichte ... Luftballonfreundschaften. Vielleicht liest Budi ja unseren Blog. Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!!!

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